Filmkritik: Der Unsichtbare (James Whale, 1933)

Filmkritik: Der Unsichtbare (James Whale, 1933)

Der Unsichtbare
Copyright: Universal Studios

Mit dem hauseigenen Gruselfilm-Zyklus – zu den prominentesten Vertretern zählen unter anderem Das Phantom der Oper (1925), Dracula (1931), Die Mumie (1932) und Der Wolfsmensch (1941) – gelang es den Universal Studios in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das Horrorfilmgenre nachhaltig mitzugestalten. Ein nicht minder entdeckenswertes wie filmgeschichtlich prägendes Kleinod aus besagtem Kanon offenbart sich dem geneigten Rezipienten in Gestalt von James Whales Der Unsichtbare (OT: The Invisible Man, 1933). Nach Henry Frankenstein (Frankenstein (1931)) widmet sich Regisseur Whale mit Dr. Jack Griffin abermals einem mad scientist, der in diesem spezifischen Fall auf einer Romanvorlage des britischen Schriftstellers H.G. Wells (Die Zeitmaschine (1895), Die Insel des Dr. Moreau (1896) & Krieg der Welten (1898)) basiert, aber wie auch sein Kollege aus Mary Shelleys Feder die Naturgesetze um jeden Preis zu überwinden trachtet.

Im Zuge seiner Forschungen gelingt es dem Wissenschaftler Dr. Jack Griffin (Claude Rains), ein Serum zu entwickeln, das dem Probanden nach wiederholten Injektionen Unsichtbarkeit verspricht. In einem Selbstversuch vollführt Griffin die Probe aufs Exempel und setzt sich in seinem nunmehr veränderten Zustand in das verschlafene Dörfchen Iping ab, um dort fernab neugieriger Blicke der Kollegen an einem Gegenmittel zu arbeiten. Sowohl sein mysteriöses Erscheinungsbild – stets kaschieren Bandagen und tiefschwarz getönte Brillen die Unsichtbarkeit seines Körpers – als auch seine explosive Gemütsverfassung verhelfen ihm jedoch ungewollt zur ungeteilten Aufmerksamkeit der Dorfbevölkerung, was zur Folge hat, dass sein Geheimnis schon bald ans Tageslicht kommt. Infolgedessen beschließt Griffin kurzerhand seinen Zustand auszunutzen, um das Land in Angst und Schrecken zu versetzen. Der ehemalige Kollege Dr. Kemp (William Harrigan) soll ihm dabei zur Seite stehen.

Ohne Frage liegt Filmmagie in der Luft, wenn Claude Rains als unsichtbarer Protagonist plötzlich vor den ungläubig staunenden Gästen des Lion’s Head Inn beginnt, seine zuvor erwähnten Gesichtsbandagen abzustreifen und die Blicke – von Filmpublikum wie bewirtetem Klientel gleichermaßen – nur einer Leerstelle in der Region der antizipierten Kopfposition gewahr werden. Erste direkte Assoziationen, die der Spielfilm damit eröffnet, reichen sogleich zu Kino-Pionier Georges Méliès – exemplarisch wäre hier Un homme de têtes (1898) zu nennen – zurück, der bereits in der Anfangsphase des Bewegtbildes seine Kurzfilme mit zahlreichen Spezialeffekten versah, um dem Betrachter phantastische Welten und Begebenheiten näherzubringen. James Whales Der Unsichtbare führt dieses Ansinnen im Rahmen des eigenen Narrativs konsequent fort und bezieht dabei seinen Charme zu einem nicht unwesentlichen Anteil aus den visuellen Effekten, die Unsichtbarkeit sichtbar machen und vice versa.

James Whale nutzt die medieninhärenten Mittel kongenial, um dem Stoff filmisches Leben einzuhauchen. Dabei liefert er mit Der Unsichtbare einen stimmungsvollen Gruselfilm, der es versteht, dem Geist der wegweisenden Vorlage treu zu bleiben. Bis auf wenige Ausnahmen – auf die noch einzugehen sein wird – hält sich das Werk auffallend eng an die von H.G. Wells ersonnenen Geschehnisse und Konstellationen. Konkret erweist es sich in diesem Kontext als äußerst begrüßenswert, dass der Spielfilm den düsteren Tenor des Romans zu adaptieren vermochte, aber zugleich den Charakter des nach Terrorherrschaft trachtenden Jack Griffin um eine menschliche Facette ergänzt. Konkret geschieht dies mittels der Storyline um Griffins love interest Flora Cranley (Gloria Stuart), welche in der Vorlage keinerlei Äquivalent besitzt, sich jedoch bereichernd ins Gesamtkonzept des Films einfügt, ohne dass dadurch das stimmige Grundgefühl der Vorlage verlustig geht.

Obschon es sich um eine kleine Perle des frühen Grusel- und Science Fiction-Films handelt, lässt sich dem Werk zweifelsfrei auch das eine oder andere kleinere Manko attestieren. In diesem Kontext soll primär das Spielfilm-Finale vor dem Hintergrund der H.G. Wells Vorlage diskutiert werden. In der Auflösung des Romangeschehens wird Griffins Niedergang durch blinde Rachsucht initiiert. Sein Anliegen, den Kollegen Dr. Kemp wegen eines Aktes vermeintlicher Illoyalität umzubringen, mündet in einer Konstellation, in der sich Griffin einer Menschenmenge gegenüber sieht, der er schlussendlich selber zum Opfer fällt. Diese zugegebenermaßen recht simple – sich aber zweifelsfrei organisch entfaltende – Auflösung, der zudem eine moralische Komponente unterstellt werden kann, erfährt in James Whales Der Unsichtbare eine nicht nachvollziehbare Modifikation. Zunächst einmal gelingt es Griffin, den ehemaligen Kollegen Dr. Kemp ohne Konsequenzen umzubringen. Dies ließe sich nunmehr noch als bewusste Akzentuierung seiner Machtposition – hier böte sich darüber hinaus der Ansatz an, den Spielfilm mithilfe von Michel Chions Ausführungen zum Akusmatischen zu analysieren – verargumentieren. Umso willkürlicher und abrupter erscheint es vor diesem Hintergrund dann jedoch, dass Werk und Protagonist im Anschluss durch ein reines Zufallsereignis ihr Ende finden, als ein Farmer in seiner Scheune die Atemgeräusche des Unsichtbaren – der ruhende Griffin in seinem Unterschlupf – vernimmt und diesen Umstand der örtlichen Polizei kommuniziert. Diese umstellt das Areal und erschießt den Unsichtbaren beim Verlassen des Verstecks. Während er in der Variante des Romans also tragisches Opfer seiner unkontrollierten Rachsucht wird, degradiert der Spielfilm sein Schicksal zum bloßen Zufallsprodukt, was schlussendlich einen latent faden Beigeschmack beim Rezipienten hinterlässt.

James Whales Der Unsichtbare braucht sich vor den prominenteren Vertretern des klassischen Universal Monsterfilm-Kanons keinesfalls zu verstecken. Der Spielfilm bietet ein hohes Erzähltempo – Tod Brownings Dracula wirkt beispielsweise im unmittelbaren Vergleich deutlich behäbiger –, stimmungsvolles Figuren- und Setdesign, liebevoll ausgearbeitete Trickeffekte sowie einen ausgeprägten Hang zu schwarzhumorig-zynischen Untertönen. Einzige Wermutstropfen bleiben das zuvor thematisierte Finale des Spielfilms sowie die unverständlicherweise stark überzeichnete – beinahe schon ans Karikaturhafte grenzende – Rollengestaltung der Gastwirtin im Lion’s Head Inn (Una O’Connor alias Jenny Hall).

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