Mit dem melancholischen Gangsterfilm Drive (2011) feierte der dänische Regisseur Nicolas Winding Refn seinen internationalen Durchbruch. Nur zwei Jahre nach diesem – von Kritik und Publikum gleichermaßen geschätzten – Spielfilm ließ der Regisseur eine weitere Zusammenarbeit mit seinem Drive-Hauptdarsteller Ryan Gosling folgen. Herausgekommen ist dabei Only God Forgives (OT: Only God Forgives, 2013) – eine zugegebenermaßen schwer zugängliche wie gleichwohl elegische Meditation über Rache, Gewalt und Familienbande.
Nicht immer muss ein Film, um Gefallen zu erwecken, das Rad gänzlich neu erfinden. So können auch Werke mit etablierten Handlungsmustern- und mechanismen zweifelsfrei ihren Reiz haben, wenn der Filmemacher einen eigenständigen künstlerischen Zugang zum Stoff zu offerieren vermag. Eines der jüngeren Beispiele hierfür liefert zweifelsfrei Panos Cosmatos Spielfilm Mandy (OT: Mandy, 2018), der sich in seinem narrativen Kern auf eine im Verlauf der Dekaden zigfache dargebotene Rachegeschichte herunterbrechen lässt. Doch trotzdem ist Panos Cosmatos Mandy alles, nur nicht gewöhnlich.
Mit einem Paukenschlag beendet Avengers: Endgame (OT: Avengers: Endgame, 2019) die dritte Phase des Marvel Cinematic Universe rund um Iron Man, Captain America, Thor, Black Widow, Hulk und Co. Das Studio führt damit Handlungsstränge und Figurenkonstellationen, die über 21 Spielfilme hinweg aufgebaut und verwoben wurden, ihrem unausweichlichen Höhepunkt entgegen und sorgt im Zuge dessen für einen der am sehnsüchtigst erwarteten Blockbuster des Kinojahres 2019. Weil dieser Hype auch an Filmblog-Autoren, die sich im Wesentlichen auf älteres Genrekino fokussiert haben, nicht spurlos vorübergeht, sollen an dieser Stelle ein paar Betrachtungen zum Schlussstein der elfjährigen Superhelden-Odyssee formuliert werden. Natürlich geschieht das nicht gänzlich ohne Spoiler, d.h. Lesen auf eigene Gefahr!
Stadtdarstellungen im Spielfilm sind im Optimalfall mehr als nur das zufällig eingefangene architektonische Konglomerat im Bildhintergrund der Kadrage. Mit Bedacht eingesetzt, avancieren Städte oftmals sogar zu den heimlichen Protagonisten ihrer jeweiligen Produktionen. Sie leben, atmen, pulsieren und dienen – in Kombination mit einem Gespür für filmische Inszenierungen – der Erzeugung konkreter Stimmungswelten. Um für diese Form von Stadt im Film, die mehr als nur visuelle Staffage ist, Beispiele zu finden, muss der Blick nicht allzu weit schweifen. So erwecken etwa heimische Produktionen wie 4 Blocks und Victoria die deutsche Hauptstadt mit großer Raffinesse zum Leben. Den sehenswertesten international produzierten Berlin-Beitrag der jüngsten Zeit liefert hingegen Luca Guadagnino, der mit seinem Suspiria-Remake (OT: Suspiria, 2018) für eine mittelgroße Überraschung sorgt.
Als bauliche Strukturen dienen Häuser dem Schutz und Rückzug des Individuums. Basierend auf einer Innen-Außen-Dichotomie mit distinkten qualitativen Zuschreibungen bieten sie Absicherung gegen widere Natureinflüsse und maligne Intentionen der Umwelt. Zugleich entwickeln sie aus dieser Prämisse heraus ihre Stellung als blinder Fleck im gesellschaftlichen Kontext, da jedwedem Unbefugten der Blick hinter die architektonische Barriere nach Belieben verwehrt werden kann. Dieser Ort des Heimischen und Vertrauten gewinnt jedoch nur allzu schnell eine gänzlich unheimliche Qualität, wenn besagte Sphären und Zuschreibungen – innen/außen, vertraut/fremd und Schutz/Bedrohung – sich durchmischen und eine Doppelbesetzung von Raum erzeugen. Besonders sinnfällig lässt sich das Phänomen am Motiv des Spukhauses, so wie es beispielsweise in Der unheimliche Gast (OT:The Uninvited, 1944) – der deutsche Verleihtitel verweist bereits unmittelbar auf besagten Aspekt – anzutreffen ist, nachvollziehen.
Offenkundig vermochte es Orson Welles nicht, sonderlich positive Worte für sein Anti-Nazi-Werk Die Spur des Fremden (OT: The Stranger, 1946) zu finden. So urteilt der Regisseur: „The Stranger is the worst of my films. I did it to prove to the industry that I could make a picture on time and on budget, just like everyone else. There is nothing of me in that picture.“ Dieses Statement verleiht der Produktion zunächst den Charme einer seelenlosen und qualitativ minderwertigen Auftragsarbeit, die aus Welles‘ Perspektive einzig dazu gedient hat, seine problematische Beziehung zum Hollywood-Studiosystem nach einigen vorangegangenen Querelen wieder zu kitten. Im Zuge einer eingängigen Auseinandersetzung mit dem Spielfilm offenbart sich jedoch, dass, auch wenn Die Spur des Fremden nicht den Ansprüchen des Regisseurs genügt haben mag, das Werk nichtsdestotrotz einen absolut wohlgefälligen Eindruck hinterlässt.
Unheimliche Phänomene zeichnen sich dadurch aus, dass sie zwischen Vertrautheit und Fremdartigkeit oszillieren. Sie sind weder als das eine noch als das andere eindeutig zu klassifizieren, sondern vereinen ihrer inhärenten Natur nach beide Aspekte in sich. Von einem solchen Doppelstatus erweisen sich auch hybride Mischwesen, die für sich genommen vertraute Einzelkomponenten in einer fremdartigen Weise rekombinieren, maßgeblich geprägt. Vor allem das Horrorfilmgenre fungiert als dankbare Heimstatt dieses Figurentypus. So operieren beispielsweise Erle C. Kentons Die Insel der verlorenen Seelen (1932), David Cronenbergs Die Fliege (1986) aber auch George Waggners Der Wolfsmensch (OT: The Wolf Man, 1941) explizit mit derartig unheimlichen Kreaturen. Im Folgenden gilt es, einen Blick auf die letztgenannte Spielfilmproduktion zu werfen. Wie Dracula (1931), Frankenstein (1931), Die Mumie (1932) und Der Unsichtbare (1933) gehört auch sie zum klassischen Kanon der frühen Universal Monsterfilme.
Mit dem hauseigenen Gruselfilm-Zyklus – zu den prominentesten Vertretern zählen unter anderem Das Phantom der Oper (1925), Dracula (1931), Die Mumie (1932) und Der Wolfsmensch (1941) – gelang es den Universal Studios in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das Horrorfilmgenre nachhaltig mitzugestalten. Ein nicht minder entdeckenswertes wie filmgeschichtlich prägendes Kleinod aus besagtem Kanon offenbart sich dem geneigten Rezipienten in Gestalt von James Whales Der Unsichtbare (OT: The Invisible Man, 1933). Nach Henry Frankenstein (Frankenstein (1931)) widmet sich Regisseur Whale mit Dr. Jack Griffin abermals einem mad scientist, der in diesem spezifischen Fall auf einer Romanvorlage des britischen Schriftstellers H.G. Wells (Die Zeitmaschine (1895), Die Insel des Dr. Moreau (1896) & Krieg der Welten (1898)) basiert, aber wie auch sein Kollege aus Mary Shelleys Feder die Naturgesetze um jeden Preis zu überwinden trachtet.
Das italienische Autoren-Duo (Carlo) Fruttero & (Franco) Lucentini gehört sicherlich zu den namhafteren, literarischen Exporten aus dem Land mit der Stiefelspitze. Ihr 1972 erschienener Kriminalroman „La donna della domenica (Die Sonntagsfrau)“ avancierte schnell zu einem internationalen Erfolg und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass der europäische Arm der 20th Century Fox sich schon 1975 des Stoffes annahm und Die Sonntagsfrau (OT: La donna della domenica) als Kinofilm auch auf die Leinwand brachte. Dabei ließ man es sich nicht nehmen, einige der namhaftesten Schauspieler der Dekade zu verpflichten und so geben sich in Luigi Comencinis Verfilmung die fabelhaften Marcello Mastroianni, Jean-Louis Trintignant und Jacqueline Bisset die Ehre.
„In meinen bisher realisierten Filmen wollte ich stets von Menschen erzählen, die sich trotz der Tatsache, daß sie von ihren Mitmenschen abhängig, also unfrei waren, ihre innere Freiheit zu bewahren wußten. Ich zeigte scheinbar schwache Menschen. Doch ich sprach auch von der Kraft dieser Schwachheit, die aus deren moralischer Überzeugung und Position erwächst.“ (TARKOWSKIJ 1984)
Neben Sergei M. Eisenstein (Panzerkreuzer Potemkin, 1925) zählt der 1932 geborene Drehbuchautor und Regisseur Andrei Tarkovsky (Solaris, 1972) zu den international bekanntesten Vertretern der sowjetischen Filmindustrie. Sein Wirken ist in entscheidendem Maße durch die politischen Umstände zu Beginn seiner Karriere geprägt. Unmittelbar nach Stalins Tod („Tauwetter-Periode“) keimte in der Sowjetunion die Hoffnung einer stückweiten Liberalisierung – auch im kulturellen Sektor – auf. Im Zuge schnell einsetzender Ernüchterung wandten sich viele Künstler „tabuisiertem und konträrem Gelände“ (SCHLEGEL 1987) zu. In Tarkovskys thematischen Fokus rückten Aspekte „der Spiritualität und mystischen Geistigkeit“ (ebd.). Trotz teilweise starkem Widerstand seitens der Regierung – wobei insbesondere der autobiographisch geprägte Der Spiegel (1975) in der Kritik stand (TARKOWSKIJ 1984) – gelang es ihm, zu einem der bedeutendsten und unkonventionellsten Künstler des Landes zu avancieren. Mit einer innovativen Filmsprache und dramaturgisch schwer klassifizierbaren Konzepten stößt er sowohl die Anhänger des klassischen, narrativen Kinos à la Hollywood als auch die Verfechter der filmkünstlerischen Avantgarde gleichermaßen vor den Kopf (ebd., SCHLEGEL 1987).