Schwarze Romantik im Stummfilm – Part 4: Der Teufel bittet zum Tanz auf Leben und Tod
Nach dem vorangegangenen Exkurs ins Hexenreich klettern wir im Rahmen unserer Themenreihe nun in der Hierarchie des Bösen gen Spitze, um uns heute mit dem Spiritus Rector allen Übels – dem Beelzebub – zu befassen. Jener ultimative Verführer geistert in unterschiedlichen Darstellungsformen durch die schwarzromantische Kunst. Dementsprechend facettenreich präsentieren sich auch die davon sichtlich beeinflussten Stummfilm-Inkarnationen des Leibhaftigen. Eine Variante lieferte beispielsweise Benjamin Christensen, der im zuvor besprochenen Werk Die Hexe (OT: Häxan) nicht nur für die Regie verantwortlich zeichnete, sondern auch höchstpersönlich als gehörnter Höllenfürst für Angst und Schrecken sorgte. Im Gegensatz dazu setzten die Teufelsfiguren aus Faust – Eine deutsche Volkssage (1926) und Der Student von Prag (1913) auf ein gefälligeres Auftreten. Ihre einschmeichelnde wie tödliche Tartüfferie nehmen wir im vierten Artikel der Themenreihe Schwarze Romantik im Stummfilm ausführlicher unter die Lupe.
Kampf gegen die Verführung: Faust – Eine deutsche Volkssage
Bevor F.W. Murnau dem Ruf aus Hollywood folgte, widmete er sich zum Abschied dem UFA-Prestigeprojekt Faust – Eine deutsche Volkssage. Hierbei vermischt der Regisseur unterschiedliche Bearbeitungen des klassischen Sujets – die Volkssage, Goethes Faust sowie Christopher Marlowes Dramatisierung des Stoffs (DVD-Eureka). Als narrative Initialzündung des Films fungiert eine Wette zwischen dem Erzengel Gabriel (Werner Fuetterer) und Mephisto (Emil Jannings). Um aus dieser als Sieger hervorzugehen, muss der Teufel den Alchemisten Faust (Gösta Ekman) vom Weg der Rechtschaffenheit abbringen. Mit diesem Ziel vor Augen lässt er die Pest über die Heimat des Gelehrten hereinbrechen, sodass sich der Erdling im aussichtslosen Kampf gegen die Seuche gezwungen sieht, dubiose Mächte zur Unterstützung zu beschwören. Mephisto nutzt jenen Moment der Schwäche im Gegenüber und schlägt Faust einen fatalen Pakt vor.
Wie bereits angedeutet, besitzt der Teufel zahlreiche Gesichter, an denen sich auch die Künstler der Schwarzen Romantik abgearbeitet haben. So tritt er beispielsweise als Ziegenbock (Francisco de Goyas Hexensabbat (1819-1823)), als geflügelter Höllenfürst (Jean-Jacques Feuchères Satan (1833)) oder in menschlicher Ausformung in Erscheinung (Schwarze Romantik – Von Goya bis Max Ernst). Letzterer Variante bedienten sich natürlich insbesondere all jene direkt an Johann Wolfgang von Goethes Faust – Der Tragödie erster Teil orientierten Kunstwerke. Hier offenbart sich das wahrlich Teuflische vorrangig in den subtilen Verführungs- und Manipulationskünsten, versucht doch Mephisto mittels verlockendem Blendwerk – namentlich: die Aussicht auf Jugend und Reichtum – der begehrten Gelehrtenseele habhaft zu werden. Dementsprechend steht die Darstellung eines möglichst schaurig-bedrohlichen, metaphysischen Wesens – Paradebeispiel hierfür wiederum: Benjamin Christensen als Höllenfürst in Häxan – weitaus weniger im Vordergrund.
Obwohl Goethe selbst nur wenig Verständnis für die Romantik aufwies – er versah beispielsweise E.T.A. Hoffmanns literarisches Schaffen mit dem Prädikat krankhaft (Städel Blog) -, erkannten schwarzromantisch geprägte Künstler wie Theodor von Holst und Eugène Delacroix das Potential seines Werks und überführten den magischen wie düsteren Faust-Kosmos in die bildende Kunst. Letztgenannter schuf beispielsweise in den 1820er Jahren einen kompletten Zyklus, der essentielle Szenen aus Goethes Faust aufgriff. Inwiefern jene Lithografien den kunstaffinen F. W. Murnau in seiner visuellen Ausgestaltung des Fauststoffs beeinflusst haben, muss an dieser Stelle Spekulation bleiben. Nichtsdestotrotz dokumentiert die unmittelbare Gegenüberstellung eine nicht von der Hand zu weisende ästhetische Verwandtschaft, sodass Eugène Delacroix durchaus als Einflussquelle sowie legitimes Bindeglied zwischen Goethe und F.W. Murnau verstanden werden kann. (Schwarze Romantik – Von Goya bis Max Ernst)
Eine hingegen wesentlich auffälligere Beziehung existiert zwischen F. W. Murnau und Caspar David Friedrich, dessen künstlerisches Schaffen nicht zum ersten Mal als Vorlage für das Bewegtbild-Medium diente. Diese intermediale Querverbindung offenbart sich kurz vor der Teufelsbeschwörung. Der Gelehrte Faust durchwandert in jenen Momenten eine höchst atmosphärische Bildkomposition, die unverkennbar das Arrangement von Friedrichs Mann und Frau den Mond betrachtend (1830-1835) zitiert – zur Rechten ein Baum mit gespenstischem Habitus im Gegenlicht, zur Linken die jeweilige(n) Person(en) in Rückansicht und im Zentrum der Kadrage ein hell leuchtender Mond. Bei genauerer Betrachtung springen spätestens hier unweigerlich Parallelen zwischen Faust – Eine deutsche Volkssage und Der müde Tod (1921) ins Auge. Wie im ersten Artikel der Themenreihe (Die Melancholie des Sensenmanns) beschrieben, instrumentalisierte auch Fritz Lang obiges Gemälde von Caspar David Friedrich für seine Zwecke. Doch die Verwandtschaft beider Filme transzendiert den Aspekt des rein Bildlichen. Vielmehr sind es schwarzromantische Elemente wie die figureninhärente Melancholie und der schlussendliche Triumph der Liebe über höhere Mächte – ob nun Tod oder Teufel –, die beide Werke gleichermaßen auszeichnen. (Schwarze Romantik – Von Goya bis Max Ernst)
“Lass dir deinen leeren Sack doch vom Satan füllen.”
Eine Variation des Fauststoffs lieferte Der Student von Prag (1913), welcher das Kino von der miefigen Aura billiger Jahrmarkts-Attraktionen löste und zur Kunstform erhob (arte.tv). Analog zur Figur des Mephisto erscheint dem verarmten Balduin (Paul Wegener) in dieser schwarzromantischen Geschichte der diabolische Scapinelli (John Gottowt), der den Studenten mit unermesslichen Reichtümern lockt. Im Gegenzug dafür fordert jener das Recht ein, aus Balduins ärmlicher Behausung mitzunehmen, was auch immer ihm gefällt. Der einwilligende Balduin ahnt nicht, dass ihn der Vertrag sein Spiegelbild und schlussendlich das Leben kosten wird. Mit dieser finalen Pointe gibt sich die Doppelgänger-Story dann auch ungleich pessimistischer als die zuvor besprochene Faust-Adaption. Während dort in letzter Konsequenz die Liebe über Mephistos hinterlistige Machenschaften siegt, behält hier der unheimliche Verführer Scapinelli die Oberhand und schlendert in einer der letzten Einstellungen jovialen Schrittes davon. Offensichtlich traf Drehbuchautor Hanns Heinz Ewers damit genau den Nerv der damaligen Zeit. Das Werk, welches prominente Motive der Schauerromantik – etwa aus William Wilson (Edgar Allan Poe), Peter Schlemihl (Adelbert von Chamisso), Die Geschichte vom verlornen Spiegelbilde (E.T.A. Hoffmann) und Das Bildnis des Dorian Gray (Oscar Wilde) – heranzog (arte.tv), stieß in der Öffentlichkeit auf durchweg positive Resonanz und erfuhr im Laufe der Jahre sogar zwei Neuinterpretationen (1926 &1935).
Der Artikel ist zuerst auf moviepilot.de erschienen!