Schwarze Romantik im Stummfilm – Part 3: Die Hexe zwischen Aufklärung und Romantik

Schwarze Romantik im Stummfilm – Part 3: Die Hexe zwischen Aufklärung und Romantik

Häxan (Copyright: The Criterion Collection)

Sie braut magische Elixiere im stillen Kämmerlein, trifft sich mit ihresgleichen zu konspirativen Ritualen oder durchstreift auf einem Besen die Lüfte: die Hexe. Im dritten Teil der Artikelreihe wollen wir jener schwarzromantischen Figur und ihrer – im Allgemeinen recht spärlichen – medialen Präsenz im Kino des frühen 20. Jahrhunderts nachspüren. Abermals führt die Exkursion in die nordischen Gefilde Europas, wo abseits der deutschen Stummfilm-Industrie die wohl stärkste Verquickung von Schauerromantik und Bewegtbild existierte. Verantwortlich hierfür waren unter anderem Regiegrößen wie Carl Theodor Dreyer, Victor Sjöström und Benjamin Christensen. Letzterer wagte mit Die Hexe (OT: Häxan) (1922) ein in vielerlei Hinsicht aufregendes Experiment, das darüber hinaus mit kunsthistorischen Bezügen zur Schwarzen Romantik aufwartet.

Die Dialektik der Hexen – Zwischen Aufklärung und Romantik
Zweifelsfrei ist Häxan das wohl unkonventionellste Werk dieser Artikelreihe. Als Hybridwesen siedelt die schwedische Produktion im schwer zu definierenden Niemandsland zwischen Spiel- und Dokumentarfilm – eine wegweisende Verquickung Anfang der 1920er Jahre. Zunächst bereitet ein essayistisches Kapitel den Einstieg ins Geschehen vor. Im ersten Akt kommentiert Regisseur Benjamin Christensen aus der Ich-Perspektive dokumentarisches Bildmaterial unterschiedlicher Quellen, das in den Hexen- und Dämonenglauben früherer Kulturen einführt. Erst mit dem Jahr 1488 setzt die – zugegebenermaßen mitunter nur wenig kohärente, aber umso magischere – Spielhandlung ein. Der Zuschauer wird Zeuge, wie Frauen sprichwörtlich des Teufels Hintern küssen, satanische Rituale auf dem Brocken feiern und die kirchlichen Inquisitoren ihrem gnadenlosen Tagewerk nachgehen. Abschließend springt der Film im siebenten Kapitel ins 20. Jahrhundert und wagt den Versuch, die vermeintlich verräterischen Hexenkennzeichen mittels moderner Psychologie zu deuten. Zeitgeschichtlich überlagert sich dieser Erklärungsansatz mit der aufkeimenden Popularität der Psychoanalyse.

Wie bereits angedeutet, nimmt Häxan in vielfacher Hinsicht eine Sonderstellung ein. Aus einer aufgeklärten, vernunftorientierten Perspektive widmet sich Benjamin Christensen der Geschichte des Hexenglaubens und deklariert diesen – und somit die Hexe per se – gleich zu Beginn als Ausgeburt eines naiven Weltbildes. Hierbei offenbart sich die fruchtbare Ambivalenz des filmischen Ansatzes. Denn trotz des unmissverständlich antiromantischen Grundtenors schwelgt der Regisseur in den Bildwelten der Schauerromantik, die eine metaphysische Atmosphäre voller Angst und Unbehagen forcieren. Bei alledem soll jedoch nicht die Existenz des Übernatürlichen als Faktum etabliert werden. Vielmehr sucht Benjamin Christensen nach visuellen Äquivalenten, um die allgegenwärtige Furcht vor Hexen und Dämonen aus dem subjektiven Blickwinkel seiner Figuren in erschreckenden Bildkompositionen zu manifestieren. Schlussendlich zu diesem Zweck verwertet Christensen wiederholt gängige Themen aus der schwarzromantischen Literatur und Bildkunst, beispielsweise die Visualisierung des Teufels, den rasenden Wahnsinn der Ordensschwestern und die mannigfaltigen, okkulten Praktiken.

Auf den Spuren von Francisco de Goya und Heinrich Kramer
Zwar lassen sich in Häxan keine konkreten Einstellungen unmittelbar auf schwarzromantisch geprägte Gemälde zurückführen, dennoch atmet die schwedische Produktion den Geist eines bestimmten Künstlers: Francisco de Goya (1746 – 1828). In seinen Werken thematisierte der spanische Maler wiederholt die Schattenseiten der menschlichen Existenz, wobei insbesondere in der späten Schaffensphase auffällig eigenwillige Bildwelten dominierten. Parallel zu dieser Entwicklung rückte zusehends das Abgründige und zuweilen Übernatürliche in den Vordergrund. Die Gemälde Flug der Hexen (1797/1798), Hexensabbat (1819 – 1823, Pinturas Negras-Zyklus), Zwei Alte essen Suppe (1820 – 1823, Pinturas Negras-Zyklus) und Eine feine Lehrmeisterin (1797-1799) aus dem Los Caprichos-Zyklus wirken dabei wie atmosphärische Blaupausen für die unheimlichen Geschehnisse in Häxan. Zugleich fungiert letztere Aquatinta-Grafik – durch ihre Reproduktion im einleitenden, essayistisch geprägten Kapitel des Films – als konkretes Indiz dafür, dass die hier aufgestellte Verbindung zwischen Regisseur und Maler keinesfalls willkürlicher Natur ist.

Abseits der schwarzromantischen Vorbilder bezog Benjamin Christensen vielfach Inspiration aus einem literarischen Werk des 15. Jahrhunderts: dem Hexenhammer (Criterion Collection). Jenes barbarische, 700 Seiten umfassende Manifest entstammte der Feder von Heinrich Kramer – seines Zeichens Dominikanermönch und Inquisitor unter Papst Innozenz VIII. Der Hexenhammer – oder auch: Malleus Maleficarum – diente in Europa als offizielle Richtlinie zur Identifizierung und Verfolgung von Hexen. Hierbei definierte das Werk die Ursprünge der Hexerei, führte vermeintliche Beispiele für die verheerenden Mächte jener Teufelsjüngerinnen an und gab abschließende Hinweise zur effektiven Neutralisation der Bedrohung. Benjamin Christensen betonte diesen tragischen, durch die Veröffentlichung des Hexenhammers bedingten, Einschnitt in die europäische Geschichte, indem er die Spielhandlung von Häxan unmittelbar nach Erscheinen des Pamphlets (1487) ansiedelte. (Planet-Wissen, historicum)

Ursprünglich war Häxan als Auftakt einer Trilogie konzipiert, die sich der Geschichte des Aberglaubens verschrieben hatte. Die intendierten Nachfolger sollten die Titel Helgeninde (The Woman Saint) und Ånder (Spirits) tragen. Bekanntermaßen vermochte es der Regisseur jedoch nie, diese Projekte zu realisieren. Interessanterweise lag die Schuld indirekt bei Benjamin Christensen selbst. Sein notorischer Perfektionismus und das damit einhergehende weit überzogene Budget von Häxan ließen die Fortsetzungen wohl nur bedingt lukrativ erscheinen. Zu jenem Aspekt gesellten sich die durchwachsenen Zuschauerreaktionen, die der Erstling im Zuge seiner internationalen Veröffentlichung erntete. Zwar fand Häxan in Dänemark und Schweden durchaus sein Publikum, nichtsdestotrotz erwies sich die sexuell aufgeladene Horrorvision als ihrer Zeit voraus, wie auch ein damaliges Zitat aus der New York Times mit latent spöttelndem Unterton nahelegt: Come back with your film in 25 years, Mr. Christensen, and maybe then America will be mature enough to understand your art. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. (Witchcraft Through the Ages: The Story of Haxan, the World’s Strangest Film, and the Man Who Made it & Stummfilm-Symposium Heidelberg)

Der Artikel ist zuerst auf moviepilot.de erschienen!

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