Schwarze Romantik im Stummfilm – Part 2: Der Vampir im Bann des Okkultismus

Schwarze Romantik im Stummfilm – Part 2: Der Vampir im Bann des Okkultismus

Nosferatu, eine Symphonie des Grauens (Copyright: Transit Film/Universum Film)

Eine Aura des Gespenstischen und Bizarren durchdringt die Werke der Schwarzen Romantik, weshalb sie bereits in frühen Kinojahren als gestalterische Blaupausen für düstere Stimmungsbilder (Schwarze Romantik – Von Goya bis Max Ernst) dienten. Hierbei unterschied sich der Grad der kinematographischen Aneignung mitunter stark. Die Spannweite reichte von direkten Referenzen mit größtmöglicher Nähe zum anvisierten Gemälde bis hin zur rein atmosphärischen Nachempfindung der Vorlage. Kunstaffine Regisseure wie Carl Theodor Dreyer und F.W. Murnau erkannten das Potential derartiger intermedialer Verquickungen und schöpften es wiederholt aus. Der zweite Artikel der Reihe Schwarze Romantik im Stummfilm wandelt auf den Spuren des Blutsaugers. Im Fokus stehen dabei die finsteren Meisterwerke Vampyr – Der Traum des Allan Grey (1932) und Nosferatu, eine Symphonie des Grauens (1922), deren literarische Ursprünge in der gothic fiction – der englischsprachigen Ausprägung der Schauerromantik – liegen.

Carl Theodor Dreyer und das Wesen der Nacht
Neben den deutschen Stummfilm-Regisseuren weisen die nordeuropäischen Kollegen jener Epoche einen ähnlich starken Hang zu schwarzromantischen Motivwelten auf. So besitzt beispielsweise Carl Theodor Dreyers Vampyr – eine deutsche Produktion unter dänischer Regie – mannigfaltige Querverbindungen zu den Werken jener Künstler, die sich im Geiste den unheimlichen und metaphysischen Aspekten des Daseins verpflichtet fühlten. Der zwischen Stumm- und Tonfilm angesiedelte Vampyr lockt die Zuschauer in eine entmaterialisierte Schemenwelt, in der Traum und Realität beinahe übergangslos verschmelzen. Im Mittelpunkt steht der junge Student Allan Grey (Julian West). Während einer Reise lernt der Flaneur die kränkliche Léone (Sybille Schmitz) kennen. Als Bettlägerige fristet sie ihre Tage im elterlichen Schloss. Die Familie sowie der Hausarzt scheinen bezüglich ihres gesundheitlichen Zustands machtlos. Erst das mysteriöse Buch Die seltsame Geschichte der Vampyre bringt ein Stück weit Licht ins Dunkel. Wie darin nachzulesen ist, leidet die gesamte Ortschaft unter dem Bann der Vampirin Marguerite Chopin. Zur Erweiterung ihrer Gefolgschaft versucht diese nun die wehrlose Léone gefügig zu machen.

Aufgrund eines langjährigen Rechtsstreits mit seiner Produktionsfirma Société Générale des Films sah sich Carl Theodor Dreyer gezwungen, neue Geldgeber für die Produktion von Vampyr zu akquirieren. In Nicolas de Gunzburg (aka Julian West) fand der Regisseur einen bereitwilligen Gönner, der ihm die nötigen Mittel im Gegenzug für eine Rolle im anstehenden Projekt zur Verfügung stellte (Carl Th. Dreyer). Interessanterweise offenbaren sich die Bezüge zur Schwarzen Romantik insbesondere im Charakter des von de Gunzburg verkörperten Allan Grey, der unverkennbare Merkmale einer romantischen Seele aufweist. Bezeugt wird dies primär durch eine ausgesprochene Empfänglichkeit für alles Unheimliche und Irrationale, wovon die kleine Ortschaft Courtempierre mehr als genug zu bieten vermag. Ein Zwischentitel zu Beginn proklamiert zudem Greys akademisches Interesse an Vampiren und Teufeln. Mit derartigen Neigungen durfte sich der junge Student in bester Gesellschaft wähnen. Geistesverwandte Seelen fanden sich unter den vielen schwarzromantisch geprägten Künstlern des 19. Jahrhunderts. So widmeten sich Maler und Schriftsteller wie E.T.A. Hoffmann, Victor Hugo und Edvard Munch mit Eifer der Untersuchung metaphysischer Erscheinungen. Letztgenannter glaubte beispielsweise an die Existenz übernatürlicher Wesen und sah allein in der Beschaffenheit unserer Augen den limitierenden Faktor im Hinblick auf Geistersichtungen. (Schwarze Romantik – Von Goya bis Max Ernst)

Um die irreale Schaueratmosphäre von Vampyr zu kreieren, griff Carl Th. Dreyer auf zahlreiche schwarzromantische Anleihen zurück. Wie dem Visual Essay der britischen Eureka-DVD zu entnehmen ist, kam dem Maler Francisco de Goya hierbei eine Sonderstellung zu. So brachte der Regisseur unterschiedliche Gemälde des Künstlers zur Einstimmung der Schauspieler mit ans Set. Zusätzlich bezog sich Dreyer bei der Bildkomposition oftmals auf konkrete kunsthistorische Vorlagen. Dem (alp)traumgleichen Charakter der Erzählung entsprechend orientierte er sich in einer Szene an Johann Heinrich Füsslis Der Nachtmahr (1790/91) (Schwarze Romantik – Von Goya bis Max Ernst). Das Gemälde zeigt eine schlafende Dame. Auf ihrem Körper lastet ein hämisch grinsender Dämon – Mahr oder Alb genannt –, der sie in eine resignierte Pose zwingt und ihr schreckliche Träume beschert. Dreyer adaptiert die düstere Vorlage, um Léones Hilflosigkeit während eines nächtlichen Übergriffs durch Marguerite Chopin zu unterstreichen. Analog zum Alb thront die alte Vampirin über ihrem weiblichen Opfer. Die schwerkranke Léone nimmt dabei die gleiche dramatische Körperhaltung wie die Dame auf dem Füssli-Gemälde ein. Nicht nur in jenem Moment verwischt das Werk die mediale Grenze zwischen Film und Bildender Kunst. Auch die wohl atmosphärischste Bildkomposition – ein schwarz gekleideter Mann mit Sense am Fluss – wirkt, als habe sie Dreyer direkt einem Gemälde (Tod und der Holzfäller von Jean-François Millet (1859)) entrissen. (Eureka-DVD)

Nosferatu und die Berliner Okkultisten-Logen
Gemäß eigener Aussage war für Carl Th. Dreyer der Untoten-Stoff kaum mehr als ein ehrgeiziges Experiment, das ihm helfen sollte, aus bewährten Mustern auszubrechen und filmisches Neuland zu erschließen (Carl Th. Dreyer). Gänzlich anders verhielt es sich hingegen im Fall von Albin Grau – neben F.W. Murnau der federführende Kopf hinter dem Horror-Klassiker Nosferatu. Der Produzent zeigte sich nicht nur im abgesteckten Rahmen der Filmproduktion fasziniert von paranormalen Erscheinungen. Seine Passion für derlei Themen verfolgte ihn vielmehr bis in die tiefsten Sphären des Privatlebens. Wie E.T.A. Hoffmann, Victor Hugo und Co. setzte er sich mit metaphysischen Phänomenen auseinander. Im Verlauf der 1920er Jahre trat er als Mitglied der Pansophischen Gesellschaft und der Fraternitas Saturni – zwei Okkultisten-Logen mit Sitz in Berlin – in Erscheinung. Zudem veröffentlichte er Artikel und Illustrationen in der esoterischen Publikation Saturn Gnosis. Insbesondere vor diesem persönlichen Hintergrund erhält die Anziehungskraft, die das Vampirthema auf Albin Grau ausgeübt haben muss, eine gänzlich andere Qualität. (vierundzwanzig.de und Eureka-DVD)

Obwohl rückblickend vorrangig der Name F.W. Murnau im Zusammenhang mit Nosferatu fällt, zeichnete der visionäre Stummfilm-Regisseur nicht alleine für das Meisterwerk verantwortlich. In vielerlei Hinsicht zeigt sich das filmische Resultat maßgeblich durch die künstlerische Leitung Albin Graus geprägt, der neben seiner Produzentenrolle zusätzlich die Verantwortung für Kostüm, Maske und Setdesign übernahm. Sein diesbezüglich essentiellster Beitrag war sicherlich die visuelle Ausformulierung des Vampirgrafen (Max Schreck). Hierbei schöpfte Grau aus den unterschiedlichsten Quellen. Als Inspiration dienten ihm einerseits Hugo Steiner-Prags Illustrationen für den Roman Der Golem (Eureka-DVD). Andererseits erinnert insbesondere der ausgeprägte vertikale Habitus des transsilvanischen Adligen stark an das Gemälde Der Dämon (1903) von Alfred Kubin (Schwarze Romantik – Von Goya bis Max Ernst). Doch nicht nur die Figur des Nosferatu besitzt signifikante schwarzromantische Bezüge. Auch die Settings bergen bei genauerer Betrachtung eine Vielzahl kunsthistorischer Verweise. Als dominanteste Einflussquelle erweist sich hierbei Caspar David Friedrich, dessen Werke wie Schiff auf hoher See mit vollen Segeln (1815), Trauerszene (1799) und Frau am Fenster (1822) oftmals mit erstaunlicher Detailschärfe auf Zelluloid gebannt wurden. Die Wahl des Künstlers – respektive der Gemälde – stellt dabei natürlich keine dekorative Willkür dar. Bewusst ziehen hier die Filmemacher Bildwelten heran, die das inhärent Melancholische wie Sehnsuchtsvolle dieser Nonkonformismus-Fabel rund um Graf Orlok und seine Angebetete (Greta Schröder) akzentuieren.

Im nächsten Artikel der Reihe Schwarze Romantik im Stummfilm verlassen wir die Gefilde des Vampirs. Stattdessen erforschen wir im dritten Teil die Querverbindungen zwischen frühem Kino und dem schwarzromantischen Motiv der Hexerei.

Der Artikel ist zuerst auf moviepilot.de erschienen!

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