Schwarze Romantik im Stummfilm – Part 5: Vom tödlichen Eigensinn künstlicher Lebensformen

Schwarze Romantik im Stummfilm – Part 5: Vom tödlichen Eigensinn künstlicher Lebensformen

Metropolis (Copyright: Universum Film/Murnau Stiftung)

Zu Beginn der 1920er Jahre manifestierten sich die noch frischen Schrecken des Ersten Weltkrieges als filmische Alptraumvisionen auf den hiesigen Kinoleinwänden. Das Übernatürliche und Böse wirkt in den Produktionen der damaligen Zeit omnipräsent. In den vorangegangenen Artikeln huschten Hexen, Teufel, Wiedergänger und Gevatter Tod an unseren Augen vorbei. Wiederholt wiesen dabei die Schattengestalten des Stummfilms Bezüge zur literarischen und kunsthistorischen Vergangenheit Europas auf, namentlich zur Schwarzen Romantik. Zum Abschluss der Themenreihe wollen wir ein letztes Mal zurückreisen, um jenen düster-romantischen Motiven nachzuspüren. Zur Abwechslung stehen diesmal keine finsteren Mächte im Mittelpunkt, die unbemerkt von außen an die Protagonisten herantreten. Vielmehr handelt es sich um von Menschenhand eigens geschaffene, künstliche Lebensformen, die in Der Golem, wie er in die Welt kam (1920) und Metropolis (1927) für Unheil und Verderben sorgen.

Schwarzromantisches Metropolis?
Auf den ersten Blick bietet die UFA-Produktion Metropolis sicherlich nicht allzu viel Raum für charakteristische Motive der Schauerromantik, führt doch die Geschichte in eine futuristische Megacity voll von sozialen Missständen. Während die Arbeiterklasse der Stadt untertage durchgängig gigantische Maschinen in Betrieb hält, genießt die lokale Elite bei Spiel und Sport das Leben. Inmitten einer sich anbahnenden Revolution bittet der Stadtgründer Joh Fredersen (Alfred Abel) den Wissenschaftler Rotwang (Rudolf Klein-Rogge) um Unterstützung. Dieser soll mit Hilfe eines Roboters, welcher der Rebellenführerin Maria (Brigitte Helm) aufs Haar gleicht, Zwietracht in den Reihen der Aufständischen säen. Zu spät bemerkt Fredersen, dass Rotwang die Gunst der Stunde nutzt, um seine eigenen teuflischen Pläne mittels Maschinenmensch in die Tat umzusetzen.

Fritz Lang springt mit Metropolis in eine ferne Zukunft, ohne sich jedoch allzu weit vom kulturellen Erbe seiner europäischen Heimat zu entfernen. Hierbei stechen vor allem die Bezüge zur romantischen Literatur heraus, schließlich sahen sich bereits dort die Protagonisten wiederholt mit artifiziellen Lebensformen konfrontiert. Der beinahe jedwedem Fortschritt inhärente Zwiespalt zwischen Segen und Fluch sorgte natürlich dafür, dass sich einige der damaligen Schriftsteller – sowohl hierzulande als auch in Großbritannien – den abgründigen Facetten jenes schöpferischen Akts verpflichtet fühlten. Hierbei gebührt der Britin Mary Shelley die Ehre, den literarischen Prototypen, an dem sich heutige Werke noch immer messen lassen müssen, erschaffen zu haben. Doch obgleich der Nachhall ihrer Gothic Novel Frankenstein or The Modern Prometheus (1818) bis dato anhält, soll hier zunächst die Verbindung zwischen den deutschen Literaten der Schauerromantik und Metropolis (Roman und Drehbuch: Thea von Harbou) im Fokus stehen. Die Roboterfrau des Mad Scientist C.A. Rotwang lässt dabei insbesondere einen Namen vor dem geistigen Auge aufblitzen: E.T.A. Hoffmann.

Vergangenheit und Zukunft – E.T.A. Hoffmanns Spuren in Metropolis
Obwohl E.T.A. Hoffmann (1776 – 1822) zu Lebzeiten als Jurist, Komponist, Karikaturist, Maler und Zeichner in Erscheinung trat, ist er vor allem durch seine Arbeit als Schriftsteller (Die Elixiere des Teufels, Das öde Haus) in Erinnerung geblieben. Mit Vorliebe handelten die Geschichten des Königsbergers von fantastischen wie übernatürlichen Begebenheiten, weswegen er alsbald den Spitznamen Gespenster-Hoffmann trug. Neben zahlreichen metaphysischen Phänomenen bevölkerten zudem wiederholt künstlich geschaffene Lebensformen seine Erzählungen. Während jedoch beispielsweise in Die Automate (1814) die Aufziehpuppe als solche deutlich zu identifizieren ist, dreht sich in Der Sandmann (1815) alles um die folgenschwere Verheimlichung dieser Tatsache (E.T.A. Hoffmann, Der Sandmann). Der junge Protagonist Nathanael verfällt in jenem Kunstmärchen dem Charme des Automaten Olimpia – eine teuflische Erfindung des Gespanns Coppelius/Coppola und Spalanzani. Zusehends steigert er sich in ein imaginäres Verhältnis zu dem artifiziellen Wesen und verliert dabei Stück für Stück den Blick für die Realität. Im direkten Vergleich offenbart sich Student Nathanael somit als geistiger Vorfahre all jener Männerscharen, die in Metropolis den lasziven Reizen der Roboter-Maria anheimfallen und auf ihr Geheiß sogar die lebensnotwendigen Maschinen der Stadt sabotieren.

Abseits der künstlichen Lebensformen à la E.T.A. Hoffmann instrumentalisiert Fritz Langs Metropolis noch ein weiteres populäres Motiv der Schauerromantik und spannt dadurch erneut den Bogen zwischen außerfilmischer Vergangenheit und filmischer Zukunftsvision. Abermals markiert die Schöpfung des Wissenschaftlers dabei den Dreh- und Angelpunkt. Als destruktiver Zwilling der gutmütigen Maria steht der weibliche Maschinenmensch in der Tradition des Doppelgängers. Auch in Bezug auf dieses Motiv führt die Spurensuche zu Schriftstellern wie E.T.A. Hoffmann (Die Elixiere des Teufels, Der Sandmann), Adelbert von Chamisso und Co. Ihnen diente die Figurenkonstellation mitunter dazu, den drohenden Zerfall des Ichs bzw. den menschlichen Zwiespalt zwischen Gut und Böse zu illustrieren – essentielle Themen der Schwarzen Romantik, deren Vertreter bekanntermaßen die dunkle Gefühlswelt des Individuums in den Mittelpunkt rückten (Die Lange Nacht der Schatten). Das diesbezüglich wohl berühmteste Beispiel – Robert Louis Stevensons Gothic Novel Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde (1886) – bezeugt genannte Intentionen. In der Erzählung gelingt es Dr. Henry Jekyll, die dunklen Wesenszüge seines Ichs abzuspalten. Infolgedessen verwandelt sich der angesehene Bürger in den ruchlosen Mr. Hyde. Wie der Doktor und sein dunkler Schatten verkörpern Maria und der weibliche Roboter ebenfalls zwei Seiten einer Medaille, jedoch variiert Fritz Lang die Gut-Böse-Dichotomie, indem er hier die zwei weiblichen Stereotypen Hure und Heilige bemüht.

Parawissenschaften, Dämonen und Lehmstatuen
Nach vorangegangenem Literatur-Exkurs kehren wir abschließend noch einmal zu den künstlichen Lebensformen des Stummfilms zurück. Im weitaus weniger technisierten Der Golem, wie er in die Welt kam (1920) fasst Rabbi Loew (Albert Steinrück) den Entschluss, ein aus Lehm geformtes Wesen zu erwecken, um das jüdische Volk vor einer herannahenden Katastrophe zu bewahren. Alles verläuft zunächst nach den Vorstellungen des Gelehrten, doch schon bald entwickelt die Lehmkreatur einen katastrophalen Eigensinn, der das Prager Ghetto ins Chaos stürzt. Paul Wegener liefert hier – nach Der Golem (1915) sowie Der Golem und die Tänzerin (1917) – den bereits dritten und wohl zugleich legendärsten Auftritt als titelgebende Sagengestalt ab. Im Gegensatz zu den Vorgängern orientiert sich die 1920er-Verfilmung stärker an der klassischen jüdischen Volkslegende. Dementsprechend versetzte Paul Wegener, der bei den drei genannten Werken ebenfalls auf dem Regiestuhl saß, die Handlung ins 16. Jahrhundert und schuf streng genommen eine Art Prequel zu den ersten beiden Golem-Filmen (kinoeye.org). Wie Metropolis atmet diese Vorgeschichte durchweg den Geist der (Schwarzen) Romantik. Aber nicht allein die Golem-Figur dokumentiert den Bezug. Vor allem im Wirkkreis von Rabbi Loew manifestieren sich zahlreiche prominente Motive der Schauerromantik, die allesamt den nicht untypischen Glauben an das Metaphysische bekunden. Das Spektrum reicht dabei von esoterischen Praktiken à la Astrologie bis hin zu okkulten Beschwörungsriten. Letztere erweisen sich als zwingende Notwendigkeit, weil nur der Dämon Astaroth das magische Wort besitzt, das dem Golem zur Erweckung in seine Brusthöhle gelegt werden muss.

Mit diesen Betrachtungen zu den unterschiedlichen Typen künstlicher Lebensformen im Kino der Weimarer Republik schließt die Artikelreihe Schwarze Romantik im Stummfilm ab und beendet somit einen Exkurs, der sich vorgenommen hatte, ein Schlaglicht auf die dunkle Seite der frühen Filmgeschichte zu werfen und diese mittels eines intermedialen Ansatzes zu erkunden bzw. in letzter Hinsicht natürlich auch ein stückweit zu dechiffrieren.

Der Artikel ist zuerst auf moviepilot.de erschienen!

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