Filmbesprechung: Don’t Torture a Duckling (Lucio Fulci, 1972)

Filmbesprechung: Don’t Torture a Duckling (Lucio Fulci, 1972)

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Im Schatten der Autobahn im Süden Italiens liegt das kleine Dorf Accendura, in dem ein Junge vermisst wird. Nachdem die Polizei zuerst einen unschuldigen Stadtstreicher festnimmt, taucht die Leiche des gesuchten Kindes auf – und darauffolgend in kurzen Abständen zwei weitere junge Opfer. Die Polizei scheint im Dunkeln zu tappen. Stattdessen machen sich das reiche Großstadtpüppchen Patrizia (Barbara Bouchet), das nach einem Drogenskandal von ihrem Vater in das Dorf geschickt wurde, und der Journalist Andrea Martelli (Tomas Milian), der im Zuge der Kindermorde mit einer Traube von anderen Journalisten in das kleine Dorf eingefallen ist, auf die Suche nach dem Täter. Sie kommen diesem immer näher und lernen über den Dorf-Priester Don Alberto Avallone (Marc Porel) dessen geistig zurückgebliebene Schwester kennen, von der sie sicher sind, dass sie eine der Taten miterlebt hat. Als diese auch noch verschwindet, müssen sich Patrizia und Andrea beeilen, bevor noch ein weiterer Mord geschieht. In einem Showdown, der unerwarteter nicht sein könnte, gelingt es ihnen schlussendlich, den Täter zu stellen.

Lucio Fulci, der vielen eher durch seine Gore- und Splatter-Filme wie Die Geisterstadt der Zombies (1981), Ein Zombie hing am Glockenseil (1980) und Das Haus an der Friedhofsmauer (1981) bekannt ist, nannte in mehreren Interviews Don’t Torture a Duckling (OT: Non si sevizia un paperino) als Lieblingsfilm des eigenen Schaffens. Seine klassischen Gewaltexzesse treten hier komplett in den Hintergrund und nur noch die Leichenfunde selber sorgen für kurze Momente des Ekels – wenn z.B. eine alte Frau beim Waschen ein ertrunkenes Kind findet – und werden nicht als Schauwert ausgenutzt. Auch Tomas Milians sonst so übertriebene Coolness, die in vielen anderen Filmen der Zeit wie z.B. Die Viper (1976, R: Umberto Lenzi) oder Der Berserker (1974, R: Umberto Lenzi) meist im Mittelpunkt steht, ist zurückgeschraubt und in den Plot integriert. Tomas Milian glänzt hier als Schauspieler und nicht als Filmstar. Die Elemente, die jeden der Mitwirkenden ausmachen, sind zwar noch zu finden, stehen aber klar im Hintergrund der Geschichte. Selbst die wenigen Nackt-Szenen von Barbara Bouchet, die grade für jene bekannt war, bringen Don’t Torture a Duckling voran. So wird dem Zuschauer kein Spektakel geliefert, das von Gewalt, Coolness oder Sexappeal lebt, sondern ein Werk, das eine kohärente Geschichte erzählt, welche die Mitwirkenden perfekt integriert und zeitlos spannend ist.

Auch das Dorf selber schwebt in einer Art Zeitlosigkeit. Durch die Autobahn und die Technik, die nur sehr selten gezeigt wird, ist zwar klar, dass wir uns in den 70er Jahren befinden, aber das Dorf selber scheint im Mittelalter gefangen zu sein. Was erst durch die Architektur und Ausstattung der Häuser impliziert wird, zeigt sich dann auch ganz klar in den Köpfen der Dorfgemeinschaft selber. Die Bewohner von Accendura sind abergläubisch – so sehr, dass sie glauben, dass eine schwarze Hexe die Kinder umbringt – und rachsüchtig, was sich zeigt, als sie eben diese ‚Hexe‘ selbst lynchen. Glaube, Tugend und vor allem das Christentum werden großgeschrieben. Don Alberto Avallone ist in diesem Zusammenhang eine der wichtigsten Personen der Gemeinde. Andrea Martelli und Patrizia hingegen sind von dieser Gemeinde wie losgelöst und vertreten andere Werte, was schon alleine dadurch gezeigt wird, dass Patrizia im Film nackt eingeführt wird, wobei sie fast versucht den Jungen, der das erste Mordopfer ist, zu verführen. Martelli und Patrizia erfüllen somit die Voraussetzung von Giallo-Protagonisten, die immer ein neues Element in ihrer Umgebung sind. Sie sind losgelöst vom Dorf und losgelöst von dessen Menschen. Sie sind die Neuen, die Eindringlinge, die nicht mit den Gepflogenheiten vertraut sind und von den Bewohnern eher abweisend behandelt werden. Sie kennen niemanden und werden von wenigen Menschen freundlich willkommen geheißen. Somit bieten sie sich dem Zuschauer als perfekte Identifikationsfiguren und Führer in dieses neue, gruselige Giallo-Land an.

Die Gegenüberstellung von moderner Promiskuität und dem altertümlichen Glauben wird zum Zentralstück von Don’t Torture a Duckling. Die schwarze Hexe ist eine Frau, die auch ganz klar attraktiv ist; die, die im Dorf nicht willkommen sind, sind nicht standesgemäß gekleidet und wie sich herausstellt ist jedes der ermordeten Kinder vorher in die Versuchung geraten, etwas Sexuelles zu sehen. Sei es die nackte Patrizia oder der Geschlechtsakt einer Prostituierten. Die Kinder wurden aber nicht ermordet, weil sie etwas gesehen haben, sondern um sie vor weiteren Versuchungen zu schützen, anders als beim klassischen Giallo-Mord wird hier nichts vertuscht, sondern präventiv jemand von etwas ferngehalten. Dass der kirchliche Glaube sich hier der modernen, offenen und toleranten Welt entgegenstellt, ist genauso klar, wie dass er sich dem Schaffen von Lucio Fulci entgegenstellt, der bewusst immer wieder Grenzübertretungen in seinen Filmen zelebriert hat. Repression und Schuld werden zu den Hauptthemen des Filmes und die offene Kritik an der katholischen Kirche führte dazu, dass Don’t Torture a Duckling in Italien und auch darüber hinaus in der Welt lange keine Plattform erhielt. Die Thematik ist heute nach wie vor spannend und aktuell, wenn man sich anguckt, wie in vielen Ländern Kirche und Staat noch miteinander verbunden sind und Verbote, vor allem Abtreibung, Kondome und Homosexualität, immer noch mit religiösen Hintergründen erklärt werden.

Don‘t Torture a Duckling ist nicht nur ein exzellenter Giallo, der bis zum Ende spannend bleibt, sondern auch ein Werk der Moderne, welches das Rückständige, in dem wer sündigt sterben muss, dem modernen Leben, in dem alle Sünde in sich tragen (personifiziert von Patrizia und Andrea), gegenüberstellt. Gegen das Schwarz-Weiß-Denken des Dorfes wird ein ganzes Farbspektrum gesetzt, das nicht nur durch Kleidung, sondern auch durch Zwischenschnitte auf die moderne Einrichtung Patrizias oder die bunten Autos auf der Autobahn immer wieder bewusst gemacht wird. Im fulminanten Showdown wird das Schwarz-Weiß dann regelrecht gestürzt, als es einen Berg hinunterfällt und mit Rot besudelt wird. Ob das Dorf selber daraus etwas gelernt hat, bleibt offen und dem Zuschauer überlassen. Lohnenswert ist Don‘t Torture a Duckling so alle mal. Und als Werk von einem der interessantesten Regisseure Italiens kann man ihn nur empfehlen.

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