Filmkritik: Der unheimliche Gast (Lewis Allen, 1944)
Als bauliche Strukturen dienen Häuser dem Schutz und Rückzug des Individuums. Basierend auf einer Innen-Außen-Dichotomie mit distinkten qualitativen Zuschreibungen bieten sie Absicherung gegen widere Natureinflüsse und maligne Intentionen der Umwelt. Zugleich entwickeln sie aus dieser Prämisse heraus ihre Stellung als blinder Fleck im gesellschaftlichen Kontext, da jedwedem Unbefugten der Blick hinter die architektonische Barriere nach Belieben verwehrt werden kann. Dieser Ort des Heimischen und Vertrauten gewinnt jedoch nur allzu schnell eine gänzlich unheimliche Qualität, wenn besagte Sphären und Zuschreibungen – innen/außen, vertraut/fremd und Schutz/Bedrohung – sich durchmischen und eine Doppelbesetzung von Raum erzeugen. Besonders sinnfällig lässt sich das Phänomen am Motiv des Spukhauses, so wie es beispielsweise in Der unheimliche Gast (OT: The Uninvited, 1944) – der deutsche Verleihtitel verweist bereits unmittelbar auf besagten Aspekt – anzutreffen ist, nachvollziehen.
Im Zuge eines Spaziergangs stoßen die Geschwister Pamela (Ruth Hussey) und Roderick Fitzgerald (Ray Milland) auf ein unbewohntes Anwesen an der Küste Cornwalls. Sofort verlieren die Beiden ihr Herz an den stattlichen Landsitz und entschließen sich, das Haus käuflich zu erwerben. Zu spät bemerken die Geschwister, dass ihnen nicht nur Haus und Hof überschrieben wurde, sondern einige metaphysische Phänomene noch gleich mit. So durchziehen eisige Kälte und unerklärliche Gerüche die Räumlichkeiten aus heiterem Himmel, zudem stören laute Klagerufe ohne fixierbaren Ursprung die nächtliche Ruhe der neuen Bewohner. Pamela und Roderick durchschauen schnell, dass die Geschehnisse mit den Vorbesitzern – Commander Beech (Donald Crips) und Stella Meredith (Gail Russell) – in Verbindung stehen.
Lewis Allens Der unheimliche Gast reiht sich in eine lange filmische Tradition ein, die das Haus als prädestinierten Verhandlungsort für das Unheimliche instrumentalisiert (u.a. Das Haus auf dem Geisterhügel (William Castle, 1959), Amityville Horror (Stuart Rosenberg, 1979) und The Others (Alejandro Amenábar, 2001)). In diesem Kontext zählt der Spielfilm zu jener Fraktion, die mit zuweilen einfachsten Mitteln operiert, um der thematisierten Lokalität die inhärenten Qualitäten – Sicherheit, Schutz und Behaglichkeit – in einer Kippfigur abzusprechen, wodurch der Spielfilm schlussendlich Protagonisten wie Zuschauern gleichermaßen eine angenehm unheimliches Gefühl zu bescheren vermag. In diesem Zusammenhang umfasst die Klaviatur des metaphysischen Innuendos sowohl akustische Phänomene, die des Nächtens zu vernehmen sind und als Grundstock einer gruseligen Atmosphäre beinahe immer ziemlich zuverlässig funktionieren, als auch visuelle Marker wie beispielsweise spontan verwelkende Blumen-Arrangements, die auf eine maligne Präsenz schließen lassen. Tatsächliche Geistererscheinungen setzt Der unheimliche Gast dahingegen tendenziell eher sparsam ein, was keinesfalls als Kritikpunkt zu bewerten ist. Vielmehr produziert der weitestgehende Verzicht auf visuelle Geister-Manifestationen eine angenehme Aura des Diffusen. Den sich hieraus ableitenden, wohltemperierten Schauer – vor dem Hintergrund gegenwärtiger Sehkonventionen muss sich der Zuschauer sicherlich ein wenig gegenüber dem Dargebotenen öffnen – verquickt das Werk mit einer dezidiert leichtfüßigen Note. Evoziert wird diese maßgeblich durch Ray Millands Figurenzeichnung. Die schelmische Attitüde seines Charakters sorgt für den einen oder anderen Schmunzler, wobei darüber diskutiert werden kann, ob dieser Aspekt in den allerletzten Zügen des Films nicht ein wenig dezenter hätte ausfallen können, um so den allzu naiven Gestus der Roderickschen Geisteransprache abzumildern.
Gilt es, Der unheimliche Gast auf seine thematische Quintessenz herunterzubrechen, so kristallisiert sich schnell der Konnex von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als zentraler Dreh- und Angelpunkt der Geschichte heraus. Lewis Allens Spielfilm skizziert im Wesentlichen eine Konstellation, bei der sich die Vergangenheit wie ein dunkler Schleier über die Gegenwart legt und dergestalt eine bestenfalls unsichere Zukunft produziert. Damit greift das Werk aus dem Jahr 1944 ein Sujet auf, das auch schon in Alfred Hitchcocks Rebecca (1940) – basierend auf dem gleichnamigen Daphne du Maurier-Werk aus dem Jahr 1938 – eine zentrale Position eingenommen hat. Interessanterweise enden die Parallelen mit jener Feststellung nicht. Ohne allzu tief in eine gegenüberstellende Analyse eintauchen zu wollen, lassen sich noch weiterführende Gemeinsamkeiten diagnostizieren. So inkorporieren beispielsweise beide Werke an prominenter Stelle die posthume Demontage einer Filmfigur, die auf diegetischer Ebene zunächst konsequent als heiligengleich charakterisiert wurde und erst Stück für Stück den ursprünglich kommunizierten Glanz verliert. Im Dunstkreis dieser Charaktere warten beide Produktionen darüber hinaus mit Nebenfiguren auf – im Falle von Rebecca handelt es sich um Mrs. Danvers, bei Mary Meredith um Miss Holloway –, die die zuvor beschriebene Reputation vehement schützen bzw. aktiv mitproduzieren und schlussendlich auch eine sexuelle Komponente mit ins Spiel bringen.
Lewis Allens erzählt seine Spukhaus-Geschichte – basierend auf Dorothy Macardles Romanvorlage Uneasy Freehold (1941) – in angenehm unaufgeregter Manier. Sowohl Setting, Bildgestaltung als auch Drehbuch tragen zu einem ruhigen wie gleichsam atmosphärisch dichten Gruselfilm bei, dessen düsteres Sujet wiederholt durch eine Aura der Leichtfüßigkeit durchbrochen wird. Für das filmgeschichtlich interessierte Publikum hält Der unheimliche Gast darüber hinaus besagte intertextuelle Bezüge – ein essentielles Merkmal späterer postmoderner Produktionen – bereit, die auf einen werksfremden Kosmos – Hitchcocks Rebecca – rekurrieren und sogleich weitere Bedeutungsebenen produzieren.
Quellenverzeichnis
- Bachelard, Gaston (1957): Poetik des Raumes.
- Vidler, Anthony (2002): unHEIMLICH: Über das Unbehagen in der modernen Architektur.