Filmkritik: Suspiria (Luca Guadagnino, 2018)
Stadtdarstellungen im Spielfilm sind im Optimalfall mehr als nur das zufällig eingefangene architektonische Konglomerat im Bildhintergrund der Kadrage. Mit Bedacht eingesetzt, avancieren Städte oftmals sogar zu den heimlichen Protagonisten ihrer jeweiligen Produktionen. Sie leben, atmen, pulsieren und dienen – in Kombination mit einem Gespür für filmische Inszenierungen – der Erzeugung konkreter Stimmungswelten. Um für diese Form von Stadt im Film, die mehr als nur visuelle Staffage ist, Beispiele zu finden, muss der Blick nicht allzu weit schweifen. So erwecken etwa heimische Produktionen wie 4 Blocks und Victoria die deutsche Hauptstadt mit großer Raffinesse zum Leben. Den sehenswertesten international produzierten Berlin-Beitrag der jüngsten Zeit liefert hingegen Luca Guadagnino, der mit seinem Suspiria-Remake (OT: Suspiria, 2018) für eine mittelgroße Überraschung sorgt.
Bundesrepublik Deutschland, 1977: Für die junge US-Amerikanerin Susie Bannion (Dakota Johnson) geht ein Traum in Erfüllung, als sie eine Zusage der renommierten Tanzakademie Markos erhält. Ohne zu zögern, nimmt sie die Gelegenheit wahr und schlägt ihre Zelte im von Krisen gebeutelten West-Berlin auf. Während nunmehr auf den Straßen der Hauptstadt der RAF-Terror regiert, sieht sich Susie innerhalb der Akademiemauern mit einem gänzlich anders gearteten Horrorszenario konfrontiert. Die Leitung des Hauses entpuppt sich als Hexen-Konvent, das für ihre geschwächte Meisterin Helena Markos einen unverbrauchten Körper sucht. Nach wiederholten Rückschlägen mit vorhergehenden Kandidatinnen glauben die Hexen nunmehr mit Susie die Richtige gefunden zu haben.
Im Verlauf der letzten Dekade kochten sporadisch immer wieder Gerüchte um ein Suspiria-Remake hoch. Vorfreude vermochte sich angesichts des Projekts jedoch hier nicht so recht einzustellen. Obwohl natürlich jedes Werk eine faire Chance erhalten sollte, erschien eine Neuauflage von Dario Argentos giallo fantastico aus dem Jahr 1977 irgendwie von vornherein merkwürdig überflüssig. Eine langwierige und von personellen Änderungen begleitete Produktionsgeschichte – zu Beginn der pre-production war noch David Gordon Green (Halloween, 2018) als Regisseur geführt – sorgte ebenfalls nicht unbedingt dafür, ein inneres Feuer für das Projekt zu schüren. Erst im Kinosaal wich diese fehlende Begeisterung für das filmische Unterfangen schlussendlich einem freudigen Entzücken, denn Luca Guadagnino hat mit Suspiria ein Werk geschaffen, das eine kraftvolle audiovisuelle wie auch narrative Stimme besitzt und den Hexenkosmos um Mater Suspiriorum nicht einfach platt im Sinne des filmischen Vorbilds reproduziert.
Vielmehr präsentiert Guadagnino eine sehr eigenwillige Interpretation des Stoffes, die trotz der großen Fußstapfen, in die es zu treten gilt, erfrischender Weise wenig Fan-Service betreibt und vorrangig einem originellen Ansatz verpflichtet ist. Konkret bedeutet dies, dass das Remake beispielsweise auf Argentos Überangebot an Primärfarben verzichtet, was durchaus – insbesondere bei einem Namensvetter, der so bewusst durch überbordende Farblichkeit geprägt ist – als eindeutiges emanzipatorisches Statement gelesen werden kann. Das Suspiria-Remake bedient sich fast ausschließlich einer dezidiert entsättigten Farbpalette und entwirft bedrückende Tableaus einer Hauptstadt zu Krisenzeiten. Luca Guadagnino verwebt das Hexennarrativ vor diesem Hintergrund mit einem politischen Subplot, der im Original – angesiedelt im süddeutschen Freiburg des Jahres 1977 – so keinerlei Äquivalent besitzt. Hierfür aktiviert das ebenfalls in den 1970er Jahren verortete Remake nicht nur den damals tagespolitisch aktuellen RAF-Terror um die Baader-Meinhof-Gruppierung (Deutscher Herbst), sondern rückt zugleich die NS-Schuldfrage mittels der Figur des Dr. Klemperer – wie Madame Blanc und Helena Markos ebenfalls von Tilda Swinton verkörpert – in den Fokus. Im Zuge dessen entwickelt sich eine ubiquitäre Atmosphäre von emotionaler wie auch politischer Unrast, die eine synergetische Beziehung mit den Geschehnissen innerhalb des Hexen-Konvents eingeht, wo sich ebenfalls gewaltsam induzierte Machtwechsel anbahnen.
Eine weitere Besonderheit des Suspiria-Remakes, die ebenso zur eindringlichen Wirkung des Werkes beiträgt, findet sich in der Hinwendung zum performativen Akt des Tanzens. Wo Dario Argento zwar das Setting einer Tanzakademie wählt, das tatsächliche Tanzen jedoch nur eine Randerscheinung darstellt, da folgt Guadagninos Suspiria einem Ansatz, der eher an Darren Aronofskys Black Swan gemahnt. Zwei der erinnerungswürdigsten Szenen des gesamten Spielfilms resultieren aus dieser Entscheidung. Neben der Aufführungsszene des Stückes Volk, welche mithilfe der rot erstrahlenden Kostüme bereits das bluttriefende Finale antizipiert, ist des Weiteren Susie Bannions Vortanzen während einer der Proben zu nennen. Nachdem sich Olga Ivanova (Elena Fokina) vor versammelter Schülerschaft mit der Leitung der Akademie überworfen hat, beginnt Susie mit einer tödlichen Choreographie, die ihren Körper mit dem von Olga kurzschließt. Dabei überträgt sich die kinetische Energie ihrer tänzerischen Darbietung mit desaströsen physischen Folgen auf die in Ungnade Gefallene. Es entspinnt sich eine in höchstem Maße viszeral ausgerichtete Darbietung, deren rezeptionsästhetische Wirkung zusätzlich noch durch Sounddesign und Filmschnitt akzentuiert wird und die im Zuge dessen durchaus die Spähren des schwer Erträglichen touchiert. Kurzum: Eine meisterhaft inszenierte Szene, die wahrscheinlich niemand so schnell wiedersehen möchte.
Luca Guadagninos liefert mit Suspiria ein überaus wohlgefälliges Remake ab. Der über weite Strecken angenehm langsam erzählte Spielfilm – die 2018er Version übertrifft das Original um circa eine Stunde Laufzeit – setzt auffallend eigenwillige Akzente und bringt allein auf Drehbuchebene Input mit sich, der eine Neuauflage auch tatsächlich sinnvoll bzw. spannend erscheinen lässt. So stehen beispielsweise die verstärkte Integration des Tanzakts und die bedrückend-unruhige Atmosphäre der geteilten Hauptstadt dem Stoff um Mater Suspiriorum sichtlich gut. Insgesamt lässt sich vor dem Hintergrund des äußerst positiven Eindrucks, den Suspiria zu evozieren vermag, nur hoffen, dass auf die derzeitigen Sequel-Gerüchte möglichst bald ein offizielles Go! für die Fortsetzung folgt, wobei es natürlich überaus wünschenswert wäre, wenn zwischen Ankündigung und Kinostart nicht abermals eine Dekade liegt.
Ein Gedanke zu „Filmkritik: Suspiria (Luca Guadagnino, 2018)“
Die zunehmende Integration des Tanzauftritts und die bedrückende, unruhige Atmosphäre der geteilten Hauptstadt sind eindeutig gut für das Material um Mater Suspiriorum.