Filmkritik: Die Teuflischen (Henri-Georges Clouzot, 1955)
Wäre Henri-Georges Clouzot nicht dem Master of Suspense bei der Rechteakquise zuvorgekommen, hätte sich der Psychothriller Die Teuflischen (OT: Les diaboliques, 1955) zur Mitte der 1950er Jahre höchstwahrscheinlich ins Hitchcock’sche Œuvre eingereiht – so zumindest kolportiert es die Filmgeschichtsschreibung. Die Frage nach der konkreten Ausgestaltung eines solchen Films liefert sicherlich genügend Ansatzpunkte für spannende Gedankenexperimente und Spekulationen. Nichtsdestotrotz soll sie an dieser Stelle in den Hintergrund rücken, denn bekanntermaßen konnte sich nun einmal der französische Regisseur die entsprechende Romanvorlage (Celle qui n’était plus von Pierre Boileau und Thomas Narcejac) sichern und schuf mit Die Teuflischen ein fesselndes Schwarz-Weiß-Kunstwerk, welches unterschiedliche Genre-Elemente zu einer anregenden Melange verschmilzt.
Der verheiratete Internatsleiter Michel Delassalle (Paul Meurisse) nimmt es mit der Treue nicht allzu genau. Diese Lebenseinstellung wird ihm zum Verhängnis, als sich Gattin (Véra Clouzot) und Mätresse (Simone Signoret) plötzlich gegen ihn wenden. Gemeinsam entscheiden sie, Michel für seine Taten büßen zu lassen und ertränken den Ehemann und Liebhaber kurzerhand in der heimischen Badewanne. Den Leichnam entsorgen sie im Schwimmbecken des Internats, um den Eindruck eines Unfalls zu erwecken. Als der leblose Körper auch nach einiger Zeit nicht entdeckt wird, beschließen die beiden Mörderinnen, das Basin unter einem Vorwand leeren zu lassen. Zu ihrem Entsetzen müssen sie jedoch feststellen, dass die Leiche verschwunden ist.
Henri-Georges Clouzots Die Teuflischen ist maßgeblich dadurch geprägt, dass die ohnehin affektiv stark aufgeladene Prämisse – Mord am gemeinsamen Ehemann und Liebhaber – durch eine raffinierte Wendung zur Halbzeit noch zusätzliche Verschärfung erfährt. Denn geht es nach dem augenscheinlich erfolgreich durchgeführten Komplott zunächst darum, ob Christina und Nicole mit ihrer Rachetat ungeschoren davonkommen, so wechselt kurz darauf die filmische Leitfrage und zwingt Zuschauer wie Protagonistinnen gleichermaßen sich mit einer noch weitaus profunderen Problematik auseinanderzusetzen, nämlich: Wohin ist Michels Leichnam entschwunden? Aufbauend auf jenem Richtungswechsel innerhalb der Erzählung, eröffnet Die Teuflischen zwei divergierende – jedoch nicht äquivalent ausgeprägte – Diskurse, die mithilfe von Elementen aus angrenzenden Genres verhandelt werden und dem Thriller infolgedessen bewusst Ambiguität verleihen.
Sowohl auf narrativer als auch stilistischer Ebene lässt sich in Die Teuflischen die vitalisierende Genre-Hybridisierung nachvollziehen. Auf der einen Seite positionieren sich hierbei beispielsweise zahlreiche Bezüge zum übernatürlich angehauchten Horrorfilm. Diese lassen sich u.a. in der Ästhetik einzelner Bildkompositionen – Michels (lebloser) Körper in der Badewanne – entdecken, bilden aber auch insbesondere in der zweiten Hälfte wiederholt einen integralen Bestandteil der Erzählung. So offeriert der filmische Text über weite Strecken – durch für das Horrorgenre typische Erzählmuster – eine Deutungsoption, die metaphysische Phänomene im Rahmen der Diegese möglich erscheinen lässt. Vor diesem Hintergrund entspinnt sich – ohne im Hinblick auf das Finale allzu viel vorwegnehmen zu wollen – eine nervenaufreibende „Geisterjagd“, die wie aus einer klassischen Gruselfilm-Erzählung wirkt.
Auf der anderen Seite – d.h. als Gegenpol zu jenen Genreverweisen, die dazu verleiten, das Werk in einen übernatürlichen Kontext zu setzen – existiert in Die Teuflischen ein zweiter, erdender Diskurs. Jener steht u.a. in enger Beziehung zu den wiederkehrenden Film Noir-Elementen. Wie die französische Filmwissenschaftlerin Ginette Vincendeau anmerkt (Arrow Films-DVD), erweist sich hier Clouzot als Realisator einer nihilistischen, mannigfach in Chiaroscuro gebadeten Filmwelt – charakteristische Eigenschaften der Schwarzen Serie. Zudem greift der Regisseur auf konkrete Figurentypen zurück, die einen starken historischen Konnex zum Film Noir aufweisen. Zu erwähnen sind diesbezüglich die Femme fatale und die Figur des Detektivs (Charles Vanel). Insbesondere seine investigativen Bemühungen – inklusive der damit einhergehenden Implikation, dass es für die Geschehnisse eine rationale Erklärung geben muss – tragen dazu bei, dem Werk einen Gegenimpuls zu den vermeintlich übersinnlichen Elementen zu verleihen. Aus dem perfekt orchestrierten Zusammentreffen derart konträrer Signale – Inkorporierung von metaphysischen Phänomenen vs. Realismuskonzept, das sich mit den alltagsweltlichen Erfahrungen des Rezipienten deckt – resultiert hier eine beabsichtigte Uneindeutigkeit der narrativen Gesetzmäßigkeiten, die den Betrachter bis zum Schluss mit einem anregenden Schwebezustand der Möglichkeiten konfrontiert.
Mit Die Teuflischen präsentiert Regisseur Henri-Georges Clouzot einen dramaturgisch ausgefeilten wie gleichsam doppelbödigen Thriller, dessen Qualitäten sich bei weitem nicht auf die zuvor angerissenen Aspekte beschränken. So bieten u.a. die explosive Figurenkonstellation des Films – bestehend aus Ehemann, Gattin und Mätresse – und auch die hervorragende Kameraarbeit von Armand Thirard (Lohn der Angst) weitere Ansatzpunkte, um ins cineastische Schwärmen zu geraten. Ohne jedoch an dieser Stelle noch tiefer in die Materie eindringen zu wollen, bleibt abschließend zu hoffen, dass sich durch die vorangegangenen Gedankengänge nun auch der eine oder andere Leser dazu animiert fühlt, die inszenatorische Schönheit und narrative Eleganz des Werks zu entdecken. Es wird sich zweifelsfrei lohnen!