Filmkritik: Der Tiger (Bretaigne Windust & Raoul Walsh, 1951)

Filmkritik: Der Tiger (Bretaigne Windust & Raoul Walsh, 1951)

Copyright: Arthaus/Studio Canal
Copyright: Arthaus/Studio Canal

Humphrey Bogart ist das Aushängeschild des US-amerikanischen Film Noir. Wie kein zweiter Schauspieler verkörperte der gebürtige New Yorker die Quintessenz der Schwarzen Serie und prägte das Genre durch seine emblematischen Inkarnationen der abgebrühten wie gleichsam raffinierten Detektivfiguren Samuel Spade (Die Spur des Falken, 1941) und Philip Marlowe (Tote schlafen fest, 1946) maßgeblich mit. Abseits derartiger Genreklassiker, die ihren festen Platz im Kanon der Filmgeschichte besitzen, finden sich jedoch noch weitere – oftmals deutlich kleinere – Film Noir-Produktionen, denen Bogie seinen markanten Stempel aufzudrücken vermochte. So tritt er beispielsweise in Der Tiger (OT: The Enforcer, 1951) als durchsetzungsfähiger Staatsanwalt in Erscheinung, der sich auf einen scheinbar aussichtslosen Kampf gegen die Zeit einlässt.

Staatsanwalt Martin Ferguson (Humphrey Bogart) steht kurz davor, die Verurteilung des berüchtigten Verbrechers Albert Mendoza (Everett Sloane) – seines Zeichens Oberhaupt einer kriminellen Vereinigung, die Auftragsmorde gegen Bezahlung durchführt – zu erwirken. Als jedoch unmittelbar vor dem anvisierten Gerichtstermin der einzige Kronzeuge (Ted de Corsia) tödlich verunglückt, droht dem Staatsanwalt die bitterste Niederlage seiner Karriere. Nur wenige Stunden bleiben ihm, um neue Beweise zu akquirieren, die verhindern, dass Mendoza den Verhandlungssaal als freier Mann verlässt.

Obschon Der Tiger eindeutig als B-Picture ausgelegt ist, sollte diese Form der Klassifizierung keinesfalls als Indikator für die potentielle Qualität des Werks angesehen werden. Das Regie-Duo Bretaigne Windust und Raoul Walsh – letztgenannter sprang als Krankheitsvertretung ein – liefert hier eine kleinen, aber zugleich äußerst filigran durchkonstruierten Vertreter der Schwarzen Serie ab. Hierbei verleihen insbesondere die wiederholt eingesetzten Flashbacks – ein charakteristisches Stilmittel des Film Noir – dem Werk trotz seiner geringen Laufzeit eine wohl nuancierte Komplexität. Auf gleich mehreren Zeitebenen – u.a. auch Rückblenden innerhalb von Rückblenden – entfaltet sich dabei die Hintergrundgeschichte zur angestrebten Verurteilung des Mobsters Mendoza. Das Procedere erinnert in diesem Zusammenhang stark an die narrative Struktur von Orson Welles Citizen Kane (1941), der zehn Jahre zuvor das Leben von Zeitungstycoon Charles Foster Kane mittels Analepsen rekonstruierte und diese an den konkreten Blickwinkel diverser Wegbegleiter band. Ähnlich verfährt auch Der Tiger, wenn auch zweifelsfrei im ungleich kleineren Maßstab.

„A contract means a murder and a hit means a victim“. Der Tiger führt den Zuschauer in eine durchkalkulierte Welt, in der ein Menschenleben einen durchweg überschaubaren Wert besitzt und entsorgt wird, sobald es Profit verspricht. Diesen Umstand demonstriert Albert Mendoza in einer der Schlüsselszenen aufs Eindringlichste, als er Joseph Rico (Ted de Corsia) seine Geschäftsidee – als Vorbild diente die realweltlich existente Mafia-Organisation Murder, Inc. unter Louis Buchalter – am lebenden Objekt exemplarisch vorführt und ohne mit der Wimper zu zucken, den Besitzer eines Cafés umbringt. Hierbei verbleibt das mörderische Geschehen zwar im filmischen Off, nichtsdestotrotz schlägt der ganz und gar abrupte wie gleichsam absolut nahtlose Wechsel von einer augenscheinlich „harmlosen“ Unterhaltung hin zu einem kaltblütigen Mord doch unerwartet radikale Töne an. Insbesondere dieser Schlüsselmoment sowie auch zahlreiche Details in der Charakterzeichnung von Staatsanwalt Ferguson verleihen dem Film eine angenehm authentisch wirkende Kompromisslosigkeit, die dem Werk hervorragend zu Gesicht steht.

Der Tiger von Bretaigne Windust und Raoul Walsh ist zweifelsfrei eine lohnenswerte Perle im umfangreichen B-Picture-Segment des Film Noir (Anmerkung: Natürlich könnte die Schwarze Serie auch per se durchaus dieser Kategorie zugeordnet werden, dies wird hier aus Gründen der besseren Differenzierbarkeit jedoch nicht angestrebt). Der Film punktet mit einem spannenden Figurenensemble – Ferguson, Rico und natürlich Mendoza –, dem nötigen Quäntchen Härte und einer sauber durchkonstruierten Narration, die darüber hinaus einen gefälligen Plot Twist am Ende aufweist. Wer sich nun von Der Tiger angesprochen fühlt, dem seien zusätzlich noch die Humphrey Bogart-Produktionen Der große Gangster (1942) und Tatort Springfield (1945) unbedingt ans Herz gelegt.

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