Filmkritik: Zeuge gesucht (Robert Siodmak, 1944)

Filmkritik: Zeuge gesucht (Robert Siodmak, 1944)

Copyright: Koch Media
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Im ersten Moment mutet die Cornell Woolrich-Adaption Zeuge gesucht (OT: Phantom Lady, 1944) wie ein Werk an, das auch der filmischen Vita des Masters of Suspense entstammen könnte. Denn Robert Siodmaks erster Gehversuch im Film Noir frönt voller Entschlossenheit einem klassischen Hitchcock-Motiv: dem unschuldig Verdächtigen. Während jedoch solche Brückenschläge zwischen Künstlern oftmals spekulativer Natur sind, erweist sich die Verbindung in diesem Fall als deutlich profunder. Verantwortlich hierfür zeichnet Joan Harrison, die Anfang der 1930er Jahre von Hitchcock unter die Fittiche genommen wurde und Jahre später für Zeuge gesucht als Produzentin fungieren sollte.

Das zufällige Zusammentreffen zweier betrübter Seelen bildet den Auftakt. In einer Bar begegnet der Ingenieur Scott Henderson (Alan Curtis) der offenkundig ebenso unglücklichen Ann Terry (Fay Helm). Ohne den Namen des jeweiligen Gegenübers zu kennen, verleben sie einen gemeinsamen Abend im Musiktheater. Als Scott im Laufe der Nacht heimkehrt, um die vorangegangenen Streitigkeiten mit seiner Gattin zu bereinigen, findet er diese ermordet vor. Die Indizienlage belastet ihn schwer, weswegen er schlussendlich zum Tode verurteilt wird. Die unmittelbar bevorstehende Exekution veranlasst seine Angestellte Carol ‚Kansas‘ Richman (Ella Raines) dazu, auf der Suche nach der einzigen Zeugin – jener Dame aus der Bar – Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen. Schnell beginnen sich die Leichen vor ihren Augen aufzutürmen.

Zeuge gesucht muss sich durchaus vorwerfen lassen, inhaltlich zuweilen dünnes Eis zu betreten. Doch auf all jene Zuschauer, die sich nicht von kleineren plot holes abschrecken lassen, wartet eine durchweg packend inszenierte Geschichte. Die Qualität des Werks offenbart sich vor allem dadurch, dass es Robert Siodmak gelingt, das Interesse am Fortgang der Geschichte konstant am Limit zu halten – beileibe keine Selbstverständlichkeit. Hierfür zeichnet nicht unwesentlich die gewählte Erzählstrategie – respektive deren Modifikation zur Halbzeit – verantwortlich. Zunächst lockt Siodmak mit einer klassischen Whodunit-Konstruktion. Überdies stellt sich die offenkundige Frage, wie jene unterschiedlichen Charaktere zusammenhängen, die allesamt beeiden, zwar Scott aber nicht seine angebliche Barbekanntschaft wahrgenommen zu haben. Handelt es sich hierbei um ein weitläufig konspiratives Unterfangen, einen Zufall oder leiden Barkeeper, Taxifahrer und Co. an selektiver Amnesie?

Auf halbem Weg beschließt Siodmak einen narrativen Kurswechsel. Just in diesem Moment gewinnt die eingangs bemühte, durchweg positiv gemeinte Parallele zu Alfred Hitchcock zusätzliche Stichhaltigkeit. Indem sich der Killer dem Publikum zu erkennen gibt, erhält der Zuschauer einen Informationsvorsprung gegenüber den Protagonisten – die Quintessenz für Hitchcocks magische Suspense-Rezeptur. Aus der anfangs diffusen Bedrohung entwickeln sich die klaren Umrisse eines narzisstischen Ungeheuers, die für Carol und Inspector Burgess (Thomas Gomez) zunächst unsichtbar bleiben. Regisseur Siodmak nutzt das erzeugte Wissensdefizit der Figuren geschickt aus. Wiederholt konstruiert er Szenen, in denen die arglose Carol dem Täter alleine gegenübersteht. Jede Sekunde, die sie mit dem Rücken zum Mörder verbringt, wird dabei für den Betrachter zur Zitterpartie.

Robert Siodmak überträgt das expressionistische Helldunkel der deutschen Heimat mit Bravour auf den amerikanischen Kriminalfilm. Im Hinblick auf die visuellen Qualitäten kann es der erste Noir-Beitrag des Regisseurs durchweg mit späteren Genre-Perlen wie Die Wendeltreppe (1945), Rächer der Unterwelt (1946) oder Der schwarze Spiegel (1946) aufnehmen. Der gebürtige Dresdner erzählt Zeuge gesucht in düsteren wie beklemmenden Bildern, die dem New Yorker Schauplatz eine beinahe morbide Aura verleihen. Als absolutes Highlight sticht diesbezüglich die Szene heraus, in der Carol dem unaufrichtigen Barkeeper auf einen menschenleeren Bahnhof folgt. Hierbei verbindet sich die visuelle Kraft der spärlich ausgeleuchteten Location mit dem wohl fesselndsten Suspense-Moment des Films.

Obschon Zeuge gesucht mit leichten Logikschwächen zu kämpfen hat, lohnt sich ein genauerer Blick. Den klassischen Plot um einen unschuldig Verurteilten garniert Robert Siodmak mit ansprechenden Regieeinfällen und einer zuweilen malerisch düsteren Visualität. Zudem überzeugt die gewählte Besetzung – allen voran Ella Raines als treuherzige wie resolute Lebensretterin Carol Richman. Ihr tritt in einer Nebenrolle der ebenso hervorragend aufspielende Film Noir-Pionier Elisha Cook Jr. (Tote schlafen fest, Born to Kill, Die lange Nacht) gegenüber und rundet das Figurenensemble als schmieriger Drummer Cliff ab. Bei Zeuge gesucht dürfen sowohl angehende als auch fortgeschrittene Liebhaber der Schwarzen Serie bedenkenlos zugreifen. Der Film bietet zweifelsohne einen vorzüglichen Einstieg in den Siodmak’schen Noir-Kosmos.

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