Filmbesprechung: Only God Forgives (Nicolas Winding Refn, 2013)

Filmbesprechung: Only God Forgives (Nicolas Winding Refn, 2013)

Copyright: Tiberius Film/Sunfilm

Mit dem melancholischen Gangsterfilm Drive (2011) feierte der dänische Regisseur Nicolas Winding Refn seinen internationalen Durchbruch. Nur zwei Jahre nach diesem – von Kritik und Publikum gleichermaßen geschätzten – Spielfilm ließ der Regisseur eine weitere Zusammenarbeit mit seinem Drive-Hauptdarsteller Ryan Gosling folgen. Herausgekommen ist dabei Only God Forgives (OT: Only God Forgives, 2013) – eine zugegebenermaßen schwer zugängliche wie gleichwohl elegische Meditation über Rache, Gewalt und Familienbande.

Während eines nächtlichen Streifzugs durch die Bordelle Bangkoks tötet der Drogendealer Billy Thompson (Tom Burke) eine junge Prostituierte auf bestialische Art und Weise. Unterstützt durch die lokale Polizei rächt sich der Vater der Toten am Mörder seiner Tochter. Im Zuge dessen nimmt er dem Täter das Leben, woraufhin der trauernde Vater nun seinerseits ins Visier der hinterbliebenen Mitglieder der Familie Thompson gerät. Doch zumindest Julian Thompson (Ryan Gosling) – seines Zeichens Billys jüngerer Bruder – bezweifelt die Sinnhaftigkeit eines Racheakts.

Sie wollen alle nur das eine! Oder doch nicht? Filme mit Rache-Thematik zeichnen sich zumeist durch eine essentielle Gemeinsamkeit aus: den Versuch, eine möglichst starke Bindung des Zuschauers an die Rache ausübende Figur zu etablieren. Ihr Leid – sei es nun durch Unverzeihliches, das ihnen selbst oder einer ihnen nahestehenden Figur angetan wurde – soll in der Regel profunde empathische Regungen beim Rezipient wecken. Im Umkehrschluss lässt sich konstatieren, dass derartige Filme eher selten aktiv dazu tendieren, auf Rezeptionsebene einen differenzierten bzw. reflektierten Umgang mit dem Sujet zu befördern. Vor dem Hintergrund derartiger Überlegungen mutet Nicolas Winding Refns Only God Forgives wie eine Negativfolie an, die anhand ihrer latenten Andersartigkeit, Wirkmechanismen und Stellschrauben klassischer Rache-Narrative offenlegt und seziert. Sowohl inszenatorisch als auch auf Figuren- und Storyebene trifft Only God Forgives Entscheidungen, welche eine emotionale Bindung des Zuschauers torpedieren. In dieser Hinsicht unterscheidet sich das Werk beispielsweise auf fundamentale Art und Weise vom Vorgängerfilm Drive – schlussendlich sicherlich auch ein entscheidender Grund für die deutlich kritischere Rezeptionsgeschichte der zweiten Kollaboration von Winding Refn und Gosling. Während Only God Forgives den Rezipienten – zuweilen im übertragenen wie auch im buchstäblichen Sinne – auf Distanz hält, operiert er zugleich auf profunde Art und Weise mit Momenten der Stille, der akzentuierten Pause und dem Nichts – vielleicht mit Deleuze beschrieben: mit toter Zeit. Das Werk eröffnet an diesen Punkten der Erzählung Freiräume zur Reflexion, wobei als Epitom dieses Ansatzes zweifelsfrei das bewusst entleert-minimalistische – sprich: emotionsbefreite – Minenspiel des Protagonisten zu werten ist. Dem Zuschauer obliegt es nun, das eröffnete Angebot entweder anzunehmen und die mannigfaltigen Leerstellen des Werks aktiv zu füllen oder – im entgegengesetzten Fall – mit einem Gefühl der Langeweile die Sichtung zu vollenden.

Die vorherigen Beobachtungen lassen sich direkt ans filmische Material zurückbinden und erinnern bezüglich ihrer Intention auf Rezeptionsebene an die Tradition des Brechtschen Theaters. Oder genauer formuliert: an den Verfremdungseffekt (1). Verkürzt gesprochen steckt hinter diesem Terminus die Absicht, beim Rezipienten eine kritisch-distanzierte Haltung gegenüber dem Dargebotenen zu evozieren. Anstelle ihn immersiv-emotional zu involvieren, wird der Betrachter bewusst auf Abstand gehalten, um sich auf intellektueller Ebene dem Geschehen annähern zu können – so die Überlegungen und Intentionen hinter dem Konzept. In Only God Forgives schlägt sich dies in konkreten Inszenierungsmomenten nieder, welche dem beschriebenen Ansatz aktiv Vorschub leisten. Dabei handelt es sich u.a. um kleine Verschiebungen gegenüber gängigen Spielfilm-Konventionen. So etwa begreift Only God Forgives in einer Szene die Distanzierungsbemühungen buchstäblich als räumliche Figuration, wenn der Film die Konfrontation zwischen Julian und dem Polizisten, der am Mord seines Bruders indirekt beteiligt gewesen ist, so gänzlich fernab typischer Inszenierungsstrategien entfaltet. Denn anstelle einer forcierten Dramatisierung des Schlagabtausches – in seiner narrativen Funktion als der vermeintliche Höhepunkt des Spielfilms zu werten – durch nahe Kameraeinstellungen und schnelle Schnitte wartet der Film fast gänzlich mit langen, totalen Einstellungsgrößen auf. Statt unmittelbar in die Handlungsachse des Geschehens zu gehen, wähnt sich der Zuschauer in einer beobachtend-klinischen Perspektive. Die gewählte Positionierung der Kamera hält ihn auf Distanz zum Geschehen, wodurch schlussendlich das emotional-viszerale Potential der Kampfszene bewusst unangetastet bleibt.

Auch weitere bewusste filmische Setzungen obstruieren die Ausbildung immersiver Kräfte, wodurch sich Only God Forgives noch stärker dem Konzept des Verfremdungseffekts annähert – ohne jedoch beispielsweise die höchst abstrakten Sphären eines Dogville zu touchieren. Vielmehr sind es subtile Finessen und Nuancen – etwa der praktizierte Umgang mit Blickstrukturen und Räumen –, mit denen Only God Forgives die am klassischen Erzählkino geschulten Erfahrungshorizonte mutwillig umschifft und infolgedessen Irritationsmomente produziert. Ein prägnantes Beispiel hierfür findet sich nach Crystal Thompsons (Kristin Scott Thomas) Ankunft in Hongkong. Mittels der Blickstrukturen der Figuren – und den dahinter verborgenen kinematographischen Konventionen – verschaltet Nicolas Winding Refn vollkommen disparate Räume der Diegese miteinander, sodass zunächst der Eindruck erweckt wird, dass Crystal – Mutter der Brüder Julian und Billy – ihren jüngeren Sohn höchst interessiert beim Techtelmechtel mit einer Eskortdame beobachtet. Erst im Verlauf offenbart sich dem Betrachter, dass die mittels POV-Blick- bzw. Schnittmuster aufgebauten Verbindungen keinesfalls auf tatsächlichen Begebenheiten fußen. Infolgedessen gelingen Nicolas Winding Refn zwei essentielle Dinge zugleich. So formiert der hieraus resultierende Irritationsmoment – einer von mehreren wohlgemerkt – einen deutlichen Gegenpol zu den Immersionsbestrebungen des gängigen Mainstreamkinos, indem er den Zuschauer gewollt auf die (trügerischen) Mechanismen – kurz: auf die Gemachtheit – des Produkts Film zurückverweist. Zugleich füttert er ein zentrales Thema des Films an: das ödipal-inszestuöse Familiengeflecht der Thompsons, das eins der vielen wiederkehrenden Freudschen Sujets und Motive darstellt (der Sohn, der gemäß Mutter Crystal den eigenen Vater aus Eifersucht umgebracht haben soll; die ubiquitäre Kastrationskomplex-Motivik, die Only God Forgives u.a. an abgetrennten Gliedmaßen und ausgestochenen Augen durchdekliniert; Julians finaler Versuch in den Mutterleib zurückzukehren). Sie durchziehen den gesamten Spielfilm wie ein roter Faden und komplementieren die zuvor dargelegten Bemühungen des Werks, indem sie maßgeblich dazu beitragen, einen rohen, angstbesetzten und unethischen Weltausschnitt ohne wirkliche Sympathieträger zu skizzieren. Letzteres wurde u.a. ebenfalls auf rottentomates.com diagnostiziert („[…] Only God Forgives [Hervorhebung durch den Verfasser] fails to add […] relatable characters […]“ (2) (Stand: 27.05.2020)), ohne jedoch in diesem Zusammenhang zu hinterfragen, ob diese Absenz nicht vielleicht intendiert ist.

Only God Forgives ist kein einfaches Kino. Das möchte das Werk auch nicht sein. Vielmehr liefert der Spielfilm einen höchst anregenden experimentellen Ansatz, um Mechanismen und Stellschrauben klassischer Rache-Narrative offenzulegen und zu unterwandern. Dass dieses Bestreben nicht unbedingt auf eine breite Zuschauerschaft ausgelegt ist, verwundert dabei nicht und wird mit einem Blick auf die Rezeptionsgeschichte des Films noch einmal mehr als deutlich hervorgehoben. Wem es jedoch gelingt, sich für die Prämisse des Werks zu erwärmen – eigentlich ein offenkundiger Widerspruch, arbeitet Only God Forgives doch aktiv daran, den Zuschauer auf Abstand zu halten – , den erwartet ein radikales wie meditatives Filmerlebnis.

  • (1) https://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=1574
  • (2) https://www.rottentomatoes.com/m/only_god_forgives_2013


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