Filmkritik: Der New York Ripper (Lucio Fulci, 1982)

Filmkritik: Der New York Ripper (Lucio Fulci, 1982)

Copyright: Blue Underground
Copyright: Blue Underground

You never get a second chance to make a first impression. Was im Rahmen des sozialen Miteinanders gilt, lässt sich ebenso auf die erste – filmische – Begegnung mit einem Regisseur übertragen. Markiert beispielsweise ein dilettantisches und inkohärentes Machwerk wie Nightmare Concert (1990) den Einstieg in eine Filmographie, kann sich der Regisseur – stellvertretend für das gesamte weitere Filmschaffen – im Prinzip die Karten legen. Dass dieses Verhalten durchaus menschlich, jedoch selten fair ist und im schlimmsten Fall zu einigen verpassten Filmperlen führen kann, lässt sich hervorragend an genanntem Exempel nachvollziehen. Zwar stellen fatale Rohrkrepierer wie Nightmare Concert in Lucio Fulcis Vita keine Seltenheit dar, dennoch schlummern im Œuvre des kruden Italo-Regisseurs einige wenige Rohdiamanten wie Nackt über Leichen (1969) und Don’t Torture a Duckling (1972). Im Folgenden soll diskutiert werden, ob Der New York Ripper (OT: Lo Squartatore di New York, 1982) zu letztgenannten Perlen gezählt werden darf oder ob es sich hier doch eher um filmischen Sondermüll handelt.

In New York geht die Angst um. Ein Mörder mit Donald Duck-Stimme terrorisiert die Ostküsten-Metropole und hinterlässt dabei eine Spur weiblicher Leichen. Aufgrund seines willkürlichen Beuteschemas scheint die Polizei zunächst machtlos, bis nach einem weiteren Übergriff der Verdacht auf den zwielichtigen Mickey Scellenda (Howard Ross) fällt. Lt. Fred Williams (Jack Hedley) und der psychologische Berater Dr. Paul Davis (Paolo Malco) folgen dieser ersten heißen Spur. Jedoch geraten sie in eine Sackgasse, als der vermeintliche Killer tot aufgefunden wird, sich die Mordserie aber nichtsdestotrotz kontinuierlich fortsetzt. Wer steckt wirklich hinter dem Wahnsinn?

Wiederholt gelang es Lucio Fulci mit seinen blutrünstigen Genrebeiträgen, den Unmut der lokalen Zensurbehörden auf sich zu ziehen. So ist eine Vielzahl seiner Werke hierzulande – unter anderem Ein Zombie hing am Glockenseil, Die Geisterstadt der Zombies und Nightmare Concert – noch heute gemäß §131 StGB beschlagnahmt. In diese illustere Runde reiht sich auch Der New York Ripper nahtlos ein, zelebriert er doch in Reinkultur die Verquickung von Sex und Gewalt – eine Mischung, durch die er für obigen strafrechtlichen Status natürlich wie prädestiniert wirkt. Zweifelsfrei schafft es Lucio Fulcis Film heutzutage nicht mehr, die selben affektiven Reaktionen wie im Veröffentlichungsjahr zu evozieren – und auch über die Berechtigung der Beschlagnahmung lässt sich im Zeitalter des torture porns trefflich streiten –, doch trotz allem funktioniert das Werk als kompromissloser Slasher, Giallo goes Big Apple, nach wie vor überdurchschnittlich gut. Diese Tatsache ist nicht zuletzt den sleazigen Locations sowie den durchgängig lasterhaften Protagonisten geschuldet. Beide Faktoren tragen dazu bei, die diegetische Welt – der Film spielt im New York der frühen 1980er Jahre – als anrüchig-hemmungslosen Sündenpfuhl zu etablieren und dem Werk ein düster-dreckiges Ambiente zu verleihen. Schlussendlich potenziert sich hierdurch der Wirkungsgrad der vorexerzierten Gewaltdarstellungen um ein Vielfaches, sodass Der New York Ripper auch beim heutigen Publikum einen Nerv treffen dürfte, selbst wenn das Gewaltniveau aktueller Produktionen mittlerweile in gänzlich andere Sphären vorgedrungen ist.

Natürlich lassen sich die dargebotenen Gewalttaten in Der New York Ripper auf ihre rein dekorative Funktion im Slasherfilm-Kontext reduzieren und somit als Genre immanente Bestandteile einfach akzeptieren. Spannender ist es hingegen, einen genaueren Blick auf die Leidtragenden jener drastischen Exzesse zu werfen und die damit eng verbundene Misogynie-Kontroverse zu beleuchten. Denn wiederholt sah sich Lucio Fulci mit dem Vorwurf der Frauenfeindlichkeit konfrontiert. Der New York Ripper bildet diesbezüglich keinerlei Ausnahme und scheint bei oberflächlicher Betrachtung die Vorurteile – bedingt durch ausnahmslos weibliche Opfer – sogar noch zu bestätigen. Jedoch nur auf den ersten Blick. Um den Sachverhalt zu untersuchen, gilt es zunächst nach der moralischen Haltung des Films zu fragen. Wie positioniert sich Der New York Ripper im Hinblick auf die Taten des Serienkillers? Wer gilt im Kontext der Diegese als moralische Instanz? Eine erste Annäherung an obige Fragestellungen erfolgt über die Protagonisten der Geschichte. Hier werden dem Zuschauer Lt. Fred Williams und Dr. Paul Davis zur Seite gestellt. Als positiv besetzte Identifikationsfiguren vermitteln sie die Botschaft, dass die Taten des Serienkillers abnorm, verachtenswürdig und im Rahmen des Gesetzes zu ahnden sind. Dies wird vor dem Hintergrund ihrer investigativen Bemühungen durchweg deutlich. Auch wenn der exploitative Charakter der Morde kaum angezweifelt werden kann, kommuniziert das Werk – mittels genannter Figuren – doch eine klare, ablehnende Grundhaltung in Bezug auf die Gräueltaten, sodass im Zuge dessen jedweder Vorwurf der Misogynie lächerlich erscheint. Es zeigt sich, dass das, was auf der Repräsentationsebene vermittelt wird, nicht automatisch mit der Aussage eines Films bzw. der Meinung eines Filmemachers gleichzusetzen ist. Hierbei handelt es sich um einen stetig wiederkehrenden Trugschluss, der neben Lucio Fulci beispielsweise auch Dario Argento des Öfteren getroffen hat.

Abschließend sei das Werk noch einmal im Kontext der Regisseurs-Filmographie betrachtet. Dankenswerterweise offenbarte die Sichtung recht schnell, dass Der New York Ripper keinesfalls auf dem gleichen Niveau wie Nightmare Concert anzusiedeln ist. Auch die mittelprächtige Gates of Hell-Trilogie (Ein Zombie hing am Glockenseil (1980), Die Geisterstadt der Zombies (1981) und Das Haus an der Friedhofmauer (1981)) vermag der Slasherfilm mühelos zu übertrumpfen. Nichtsdestotrotz besitzt der Film ein wesentliches Manko: die überambitionierte Verheimlichung des wahren Mörders. Obwohl es der Film im Allgemeinen mit der Logik nicht allzu genau nimmt, geben sich doch diesbezüglich besonders viele Zufälle und Ungereimtheiten die Klinke in die Hand. Nur um die Identität wirklich bis zur allerletzten Minute geheim zu halten, werden hier vollkommen unlogische Rote Heringe und verwirrende Zweideutigkeiten gestreut. Schlussendlich nötigt das Drehbuch sogar eine unschuldige Figur dazu, ohne zwingenden Grund wie der gesuchte Killer zu agieren, nur um den Verdacht ein letztes Mal vom wahren Täter abzulenken und den finalen Twist zu ermöglichen. An dieser Stelle wäre weniger tatsächlich mehr gewesen.

Summa summarum bleibt Der New York Ripper ein durchweg harter und humorloser Reißer, der aus dem Gros der Lucio Fulci-Produktionen positiv hervorsticht. Aufgrund obiger Mängel befindet er sich zwar leider nicht ganz auf Augenhöhe mit Nackt über Leichen und Don’t Torture a Duckling, nichtsdestotrotz überzeugen die sleazige Atmosphäre, die psychedelische Entenstimme des Mörders und das sexuell aufgeladene Figurenpotpourri im Großen und Ganzen. Hätten die Drehbuchautoren – u.a. war auch Lucio Fulci an der Entwicklung der Geschichte beteiligt – im Hinblick auf die Auflösung ein bisschen mehr Subtilität walten lassen, wäre allerdings noch ein deutlich besseres Endprodukt möglich gewesen.

2 Gedanken zu „Filmkritik: Der New York Ripper (Lucio Fulci, 1982)

    1. Hallo Andreas,
      vielen herzlichen Dank für deine positiven Worte. Wir freuen uns sehr, dass unser noch recht junger Blog auf Interesse stößt 🙂
      LG Julian

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

%d Bloggern gefällt das: